Mail an die Miesbacher Stadträte

Bild: Tobias M. Eckrich

In der Nachbereitung unseres gescheiterten Antrags auf das Streaming von Gemeinderatssitzungen haben wir folgende E-Mail an die Mitglieder des Miesbacher Stadtrates geschickt:

Sehr geehrte Damen und Herren Stadträte,

bezugnehmend auf die Ratssitzung vom 24.01.2013 in Miesbach möchten wir Ihnen mitteilen, dass wir von der Debatte um das Streaming von Ratssitzungen schwer enttäuscht sind. Wir hatten das Gefühl, dass die im Antrag vorgebrachten Argumente kaum beachtet wurden und stattdessen eine sachferne Diskussion, beruhend auf Vorurteilen und widerlegten Argumenten, stattfand.
Wir möchten somit diese Gelegenheit nutzen, ihnen unsere Sicht zu dem Thema mit der Vielfältigkeit seiner Vorteile darzustellen.

Heutzutage ist es technisch leicht möglich, eine Liveübertragung an jedem Ort, zu jeder Zeit für jedermann im Netz verfügbar zu machen.
Die Anschaffungskosten im oberen vierstelligen Bereich, die Frau Pongratz erwähnte, sind sicherlich auch im unteren vierstelligen Bereich zu bewerkstelligen, und sollten aber einem mehr an Demokratie nicht im Wege stehen. Wer auf hohe Betriebskosten verweist, der sei auf das Angebot der Firma „Streaming-Services“ im Anhang dieser E-Mail verwiesen.

Doch gehen wir einen Schritt zurück, um etwas Licht in eine ungeführte Diskussion zu bringen.

Demokratie = Information

Wir glauben, dass es ein – für eine Demokratie – unstrittiger Wert ist, dass jeder mitreden darf. Doch Mitreden braucht die Möglichkeit zur Meinungsbildung. Und Meinungsbildung ist auf Informationen angewiesen. Wir glauben, dass wir uns auf diese grundsätzliche Logik einigen können und diese keiner Diskussion bedarf. Hat nicht jedes undemokratische System der Vergangenheit und Gegenwart die eigene Macht durch das Zurückhalten von Informationen gesichert?
Sind wir nicht, als Volkssouverän, die Überwacher unserer Entscheidungsträger? Haben wir somit nicht die Pflicht, ihre Entscheidungen zu bewerten? Und ist es nicht gerade in ihrem Sinne, wenn wir versuchen unsere Urteile so gerecht wie möglich zu treffen?

Wer nun einwendet, dass die Informationen Niemanden interessierten und Niemand sich die Arbeit mache, diese Informationen wahrzunehmen und dass deswegen die Bereitstellung von Informationen seitens „demokratischer“ Gremien überflüssig sei und nicht im Verhältnis stehe, der hat zwar das Problem der Politikverdrossenheit beschrieben – aber eine vollkommen falsche und gefährliche Schlussfolgerung daraus gezogen.
Kommt die Politikverdrossenheit nicht eben daher, dass die Bürger das Gefühl haben, selbst durch Wahlen nichts verändern zu können? Ist es nicht möglich oder gar wahrscheinlich, dass dies seine Ursachen in einem Fehlen an Informationen hat, da der Bürger Unterschiede der Parteien nur noch an verschiedenen Namen im Personalgezeter erkennen kann?
Hier sei des weiteren angemerkt, dass im Landkreis, auch wenn dankenswerter Weise kein Personalgezeter die Schlagzeilen beherrscht, mehr Informationen gewünscht werden, wie eine von der CSU durchgeführte Umfrage in Bad Wiessee belegt (vgl. Download http://www.csu.de/verband/1420010000/buergerumfrage_2012/1352535813000.htm Seite 31). Zwei Drittel der befragten Wiesseer Bürger halten die Gemeindeverwaltung demnach für zu wenig transparent.

Der Streit ums Streaming ist also ein Streit um den Zugang zu Informationen – und somit auch um die Funktionsfähigkeit der Demokratie.

Die These mag jetzt etwas hoch gegriffen klingen, aber sie ist aus der vorangestellten Logik eigentlich sehr leicht begreifbar. Es ist der Griff nach der Maximalforderung, was Informationen angeht. Da Informationen die Grundlage für demokratische Partizipation sind, ist diese Maximalforderung jedoch gerechtfertigt, beziehungsweise konsequent.

Selbst schuld an dem, was man wählt

Gleichzeitig können wir die „Alte Generation“ verstehen. Ja, Telefax, eine Errungenschaft. Und warum braucht man, wenn man schon Fax hat, eine Email? Warum zum Teufel darf ich keine Emails mit bunter Schrift und buntem Hintergrund verschicken? Warum darf ich nicht 500 Leute im CC einer Mail aufführen und sollte BCC verwenden? Und warum machen die Leute das mit diesem bösen Facebook? Wer schützt meine Daten und warum nicht?
Gerade letztere Frage ist, im Bezug zum Streaming, eine häufig genannte. Wer würde denn noch kandidieren, wenn jedes Wort in der Öffentlichkeit stünde, jede Peinlichkeit auf ewig auffindbar sei?
All dies sind Fragen, welche sich der Stadtrat schon vor Jahren einmal stellte. Damals ging es um die Veröffentlichung der Protokolle des Stadtrates im Internet. Man hat sich dagegen entschieden. Nur um es Jahre später doch zu tun. Waren die Bedenken damals begründet? Fühlen sich manche Mitglieder des Stadtrates nun nicht mehr in der Lage, offen zu reden?
Ähnlich wird es sich auch mit dem Streaming verhalten. Es wird kommen. Nur ob wir Vorreiter oder Nachzügler sein werden, ist die Frage.

Nur wenige Gemeinden haben bei Zeiten erkannt, wo es in der Zukunft lang gehen wird und können heute eine Vorreiter-Rolle vorweisen. ( http://www.br.de/fernsehen/bayerisches-fernsehen/sendungen/quer/120614-quer-livestream100.html )

Die letzte und vorletzte Politikergeneration hat es versäumt, die Gesellschaft fit für den technischen Sprung dieses Jahrtausends zu machen. Und nachdem die Gesellschaft im besten Falle überfordert ist und dadurch eher negativ zu den vielen neuen wunderbaren Dingen eingestellt ist, darf es auch nicht wundern, wenn eben genau diese Internet- und Technologiephobie die Gremien unseres Staates dominiert.
Die Forderung, sofort Livestreaming einzuführen, verursachte deswegen einen Angstreflex. Wir hätten es ahnen können. Wenn man den Frosch ins heiße Wasser wirft springt er wieder hinaus. Wären Piraten eine Altpartei, würden wir mit diesem Trotzreflex die „politischen Gegner“ jetzt jagen gehen.
Doch geht es uns nicht darum, uns selbst oder die Piraten zu profilieren, sondern es geht darum, im Landkreis Miesbach Informationen aus den politischen Gremien zu bekommen, um uns eine Meinung bilden zu können.

Was nun?

Somit sind mehrere Optionen sinnvoll; Eine Minimal-Ausstattung von Mikrophonen und einfach einen Rekorder dranhängen und den Mitschnitt als Podcast veröffentlichen. Keiner im Bild, der stört, keine Profilierung.

Audioaufzeichnungen haben sogar einen ordnenden Effekt: Da man sonst nicht versteht, wer spricht, müssten gerade die, die sich besonders herausheben wollten, darauf warten, dass man ihnen das Wort erteilt. Was wäre ein genialer Redebeitrag wert, wenn dessen Genie nicht bekannt wird.
Der Datenschutz aller bliebe gewahrt und auch die heimelige, private Stimmung, sich zu zwanzigst über Mikrofon zu unterhalten.
Bis hier hin sollte jede Gemeinde kommen. Das ist aus unserer Sicht das absolute Minimum.

Just add pictures

Wenn man so weit ist, dann kann man noch eine starre Kamera aufhängen. Kein großes Ding, man braucht auch keine hunderte an Megapixel, sondern nur eine ausreichende Auflösung.
Es wird nach wie vor alles aufgezeichnet. Ton und Bild danach überlagert. Und anschließend erst veröffentlicht. Wenn ganz grässliche Dinge passieren, dann kann man immer noch eingreifen (wobei uns nichts einfällt, was da passieren sollte).
Davon profitieren dann auch Schichtarbeiter oder Geschäftsreisende, über deren Steuergelder Sie drinnen verfügen wollen – während die Genannten zeitbedingt draußen bleiben müssen.

Die Kür, der Livestream

Will sich am Ende eine Gemeinde besonders herraustun, so kann sie die Sitzungen auch noch Live übertragen. Nicht sofort zum Livestream überzugehen, bietet die Chance, vorgeschobene Gründe zu wiederlegen, der alten Generation Lokalpolitiker eine Art Gewöhnungsphase zu bieten und trotzdem am Ziel, demokratische Partizipation für alle, anzukommen.

Fazit

So traurig es ist, dass wir es in einem der reichsten Teile Bayerns, Deutschlands und Europas nicht hin bekommen, demokratische Partizipation zu ermöglichen. So aberwitzig scheint es:
Unser Parteimitglied Andreas Witte hat seit der ägyptischen Revolution Mailkontakt mit einigen Aktivisten und er weiß zu berichten, dass selbst ein noch nicht mal richtig gegründeter Staat bereits die Sitzungen der quasi-kommunalen Gremien überträgt.


Schreibe einen Kommentar

Weitere Kommentare sind eventuell auf der Website zu finden, die den Artikel ursprünglich veröffentlicht hat.

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht öffentlich angezeigt. Verbindlich einzugebende Felder werden mit diesem Zeichen kenntlich gemacht: *