Flüchtlinge – das Wunder von München

In München kommen Spenden für Flüchtlinge LKW-weise | CC BY 2.0 Marion Ellen

Beitrag erschienen bei der Flaschenpost

Zwei Stunden nach dem Tweet war von allem genug da | CC BY 2.0 Marion Ellen

Zwei Stunden nach dem Tweet war von allem genug da | CC BY 2.0 Marion Ellen

Ich will nicht in diesen Topf! Ich bin Politikerin. Ich bin es in Bayern! Und ich will nicht in den Topf von Politikern aus Bayern, die „bis zur letzten Patrone“ gegen Zuwanderung kämpfen, Verzeihung: „Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme“ und somit das immer gleiche, nie wahre Märchen schwafeln. Oder Politiker, die die Bezeichnung „Vertriebene“ für aktuelle Flüchtlinge als Beleidigung auffassen und doch das „N“-Wort verwenden.

Ich war drei Tage nun am Münchner Hauptbahnhof, wollte mir ein Bild machen, schauen, was gebraucht wird. Was ich sah, fühlte und hörte, habe ich dann getwittert, die Aufmerksamkeit für diese Tweets hat mich sehr überrascht, ich bin an beiden Tagen nicht mehr in der Lage gewesen, meine Mentions nachzulesen.

Denn das Thema ist den Menschen wichtig. Und es ist ihnen anders wichtig, als uns die rechtskonservativen Regierungspolitiker weißmachen wollen.

Der erste Tag

Am Tag eins hatte ich Sorge, die Flüchtlinge würden von Nazis „begrüßt“ werden, was allein schon ein Grund für mich war, mich auf den Weg zum Bahnhof zu machen. Als der erste Zug ankam und entgegen der ersten Meldungen aus Rosenheim doch Flüchtlinge in München ankamen, fing ganz langsam „das Wunder von München“ an, zu wirken.

Ein Polizist meinte zu mir, sie hätten genügend Wasser, aber Spielzeug für die Kinder, vor allem jetzt für die Wartezeit wäre schön, sie selbst hätten Luftballons von einem Fast Food Hersteller besorgt. Also twitterte ich genau das. Überhaupt ging wohl viel der Kommunikation und Organisation rund um die Versorgung der Flüchtlinge über Twitter und Facebook.

Die Kinder wurden freundlich empfangen | CC BY 2.0 Marion Ellen

Die Kinder wurden freundlich empfangen | CC BY 2.0 Marion Ellen

Es war so vieles so anders auf einmal in München. Generell waren hier wenig Nazis zu sehen und wenn sie mal da waren, waren die Münchner so empört, dass sie die Polizei sofort auf sie aufmerksam machten oder die Polizei sie sofort sah und Platzverweise oder was auch immer verteilte. Ein stadtbekannter Rechtspopulist, der anfing zu filmen, war nach einem Gespräch mit der Polizei jedenfalls nicht mehr zu sehen.

Auch das gehört für mich zum Wunder von München:

Bürger, die so dermaßen keinen Bock auf Nazis haben, dass sie nicht mal die kleinste Ansammlung oder Provokation von ihnen bereit waren zu dulden und sofort handelten.

Vielleicht stand ich auch immer nur an den falschen bzw. richtigen Ecken, aber ich konnte von Nazis nicht viel wahrnehmen. Ich sah stattdessen so viel Schönes, so viel Bewegendes. Am ersten Abend schon ließ ein Pizzabäcker seine Öfen glühen. Er buck eine irre Anzahl an Pizzen und verpackte die Stücke einzeln. Wir holten zwei große Kisten bei ihm ab. Er will seine Aktion nicht als Promo-Aktion verstanden wissen, deswegen nenne ich seinen Namen nicht.

Der zweite Tag

Am Tag zwei nahm das Wunder dann rasant an Fahrt auf, die Spenden kamen sogar palettenweise. Einmal wurde ich staunend gefragt: „Und das zahlt alles die Stadt?“ Auf meine Antwort: „Nein, das sind alles Privatspenden“, folgte noch größeres Staunen. Viele Einzelhändler, große und kleine brachten Massen an Dingen.

Was ich auch viel sah, waren Mütter. Mütter, die mit ihren Kindern Spenden brachten. Diese Frauen hatten sich in die Lage der Mütter und Frauen versetzt und genau überlegt, was eine Frau nach langer Flucht für sich und ihre Kinder und Babys brauchen könnte. Und so geschah es, dass nach recht kurzer Zeit plötzlich von allem zu viel da war. Auch zu einem Zeitpunkt als München noch von Flüchtlingen erreicht werden konnte.

Ich hab es ein schönes Problem genannt. Denn klar ist es ein Problem, wenn Massen an Lebensmitteln und Hygieneartikeln vor Sonne, Regen und Ungeziefer geschützt werden müssen. Aber genauso klar ist doch, es ist schön. Schön, dass die Münchner so verdammt viel Herz haben, dass Massen an Spenden plötzlich ein (logistisches) Problem darstellen. Vor allem ein Problem, weil es nach wie vor ehrenamtliche Bürger waren, die sich um diese Organisation kümmerten. Aber ansonsten: Polizisten haben genauso wie wir Wasser geschleppt und mit den Kindern gespielt.

Überwältigende Hilfsbereitschaft in München | CC BY 2.0 Marion Ellen

Überwältigende Hilfsbereitschaft in München | CC BY 2.0 Marion Ellen

Ich las, wenn auch nur sehr selten, was davon, dass deutsche Obdachlose und Harz4 -Empfänger sich so eine Solidarität auch wünschen würden und bei denen diese Spendenflut vielleicht seltsam ankäme. Ja, möglich, dass sie verletzt sind, dass durch die Jahrzehnte an “Hartz4-Kultur” in diesem Land und die damit verbundene Entsolidarisierung, sie aktuell nicht so eine Solidarität erfahren, wie ihnen gebühren würde. Möglich auch, dass in ihnen die Hoffnung keimt, dass die Gesellschaft sich nun wieder ändern könnte und allgemein wieder ein mehr an “Füreinander -Dasein” entsteht. Möglich auch, dass das Thema “Dinge für Flüchtlinge tun”, nichts mit Obdachlosen und Hartz4-Empfängern zu tun hat. Ich glaube, man muss sich freuen, wenn Hilfe erfolgt. Und sie erfolgt oft recht wellenartig. Manchmal zeigt sich dann, was einer Gesellschaft wirklich wichtig ist. Die Abwesenheit von Hilfe bemängeln, klappt meist nicht, um welche zu erzeugen. Das Gegenteil, also die Konzentration auf das, was funktioniert, scheint es dagegen zu schaffen.

Wenn einmal Hilfe/Solidarität angeschuppst wurde, läuft sie wohl auch. München hat schon in Sachen Pegida sehr deutlich gezeigt, was es davon hält. Die Menschen sind zu Tausenden auf die Straßen gegen Pegida gegangen.

Der dritte Tag

München hätte die Flüchtlinge gern willkommen geheißen, aber sie kamen nicht mehr an. Heute am Tag drei waren es kaum noch welche. Der Strom der Hilfsbereitschaft war immer noch da. Immer noch kamen Menschen, die ihre Hilfe anboten und Spenden brachten. Sie mussten abgewiesen werden, es gibt an Sachspenden immer noch zu viel von fast allem (außer Socken und Unterwäsche für Herren in kleinen Größen, höre ich gerade im Radio) und die Helfer vor Ort waren auch genug, die Polizei ließ auch nicht mehr viel Menschen durch und wie gesagt, die Geflüchteten schaffen es nicht mehr nach München. „Dank“ der nationalen und internationalen Politik hängen sie fest. Und leiden. Und sterben.

Von ein paar der Geflüchteten sah ich heute Fotos und einen kleinen Teil ihrer Geschichte in den Zeitungen. Und mir stehen die Tränen in den Augen. Die Flüchtlinge hatten zum Teil Probleme, die Spenden anzunehmen. So viele hatten schlechte Erfahrungen auf der Flucht gemacht. Ausgeraubt und misshandelt von Bürgern und Staatsorganen anderer Länder schlug ihnen hier eine andere Welle entgegen.

Je länger, auch die Kinder, Zeit mit uns verbringen konnten, um so entspannter wurden sie. Dennoch, viele trauten sich nicht von den Spenden, was von sich aus, etwas zu nehmen, von sich aus, zu fragen. Einen sprach ich an, was er brauchen könnte. Er hat sich fünfmal bei mir entschuldigt, dass er eine Bitte äußern würde, wo doch so viel für ihn getan würde, dann sagte er: Ein T-Shirt. Er hätte nur das, was er trug und es sei so doch heiß. Einer fragte mich, was er bezahlen sollte, und war fassungslos, als ich ihm sagte: nichts. Ein älterer Syrer kam auf mich zu und bat, ob ich ihn eine Telefonnummer in Deutschland anrufen lassen könne. Natürlich konnte er. Irgendwann rief dieser Kontakt nochmal an und ich hatte Sorge, ihn nicht wiederzufinden, doch ich fand ihn. Und er und ein junger Mann hinter ihm strahlten mich an. Ich hoffe, ihnen geht es gut und denke oft an ihn. Ein anderer kam und bat mich, ob ich ihm eine SIM Karte (von seinem Geld) kaufen könnte. Leider ist es in Deutschland mit dem puren Kauf ja nicht getan 🙁

Freifunk – auch in München | Screenshot Marion Ellen

Freifunk – auch in München | Screenshot Marion Ellen

Am ersten Abend versuchte Thomas Mayer, Piraten KV Vorsitzender von München den Internet Mangel auszugleichen, indem er einen mobilen Hotspot errichtete und ihn Refugees Welcome nannte. Per Twitter gelang dann gestern die Freifunk- Lösung. Die Freifunker München durften beim Kindermuseum München (das sowieso ganz phantastisch war in diesen Tagen!!) , bei RadiusTours, Yormas und einer privaten Nachbarin ihre Router anbringen.

Vieles von dem, was in München getan wurde, war nicht nötig. Nicht nötig im Sinne von Nahrung für den Körper. Wasser gab es jederzeit. Für Essen war meines Wissens nur privat gesorgt worden. Aber auch diese erste Zeit bis zur Erstunterkunft hätten die Geflüchteten wohl noch ohne überlebt. Doch es geht eben nicht – und gerade bei traumatisierten Menschen – nur um den Körper. München hat sich hingestellt und an fast alles gedacht:

Irgendwann wurde sogar plötzlich ein ganzer Kühlschrank gebracht. Als es regnete waren zig Regenschirme und Überwürfe da. Als es noch heiß war, war Sonnencreme reichlich da. Auf einmal gab es auch warmes Essen, warmen Tee. Das Kindermuseum München brachte Kaffee.

Ich weiß nicht, was das staatliche Prozedere ist, wie und ob Flüchtlingsbabys mit Windeln etc. versorgt werden. In diesen Tagen war privat für alles gesorgt worden. Doch eines der wichtigsten Dinge an diesem Tag, die gebracht wurden, waren die Gesten. Die Aussagen, die die Münchner verbal und nonverbal damit zum Ausdruck brachten. Sie sorgten für das leibliche Wohl. Und damit für die Psychen der Geflüchteten. Es gab Willkommensschildchen und es gab Worte, welche so häufig in diesen drei Tagen und von so vielen gesagt wurden: „Welcome“ „You are welcome“. Mit einem Lächeln auf der einen Seite und teilweise Tränen auf der Anderen.

Das eiskalte Verhalten der bayrischen Sozialministerin zur fast selben Zeit muss ein Schlag ins Gesicht für die Münchner Bürger gewesen sein. Womit erreicht man wohl mehr Integration und Identifikation mit dem Gastland, mit Ablehnung, Ausgrenzung, Entwürdigung oder mit einem echten Willkommen? Wie reagiert ein Mensch wohl auf und in Deutschland, wenn er bei seiner Ankunft mit freundlicher Wärme empfangen wird und wie reagiert dieser Mensch wohl, wenn er mit „Sie wissen aber, dass sie zurück müssen?“ begrüßt wird?

Ein Bild hat sich wohl für ewig in mein Herz gefräst: Ich sah lachende Kinder, die mit dem gespendeten Spielzeug einige kurze unbeschwerte Momente erlebten und gleichzeitig weinende Männer. Ich kenne ihre Geschichten nicht. Nicht das Grauen, was sie erlebten und nicht was vor ihnen liegt.

Ich habe diese Zeilen unterbrochen, um Nachrichten zu schauen. Und ich sah die Flüchtlinge, die hier nach München von Budapest aus wollten. Und unter Tränen, derer ich mich nicht schäme, muss ich daran denken, dass so viel gespendet wurde und so viel Helfer da waren, um sie hier willkommen zu heißen. Und ich denke an die Menschen, mit denen ich heute sprach, Münchner, die sich zum Teil heute frei nahmen, um helfen zu können und dann feststellen mussten, dass die Flüchtlinge München nicht mehr erreichen können. Wir hätten es geschafft, sie zu versorgen. Man muss es wollen und dieses Wollen auch pragmatisch wie gerade eben in München oder verbal äußern.

Aber die Politik will nicht. Sie will es seit Jahren nicht. Die Menschen in Budapest werden sich nicht auflösen. Was bildet Ihr Euch da eigentlich ein?

Und Ihr, die Ihr für verschlossene Grenzen, Türen und Herzen sorgt: Ihr habt sie auf dem Gewissen. Für jeden Toten, für jeden traumatisierten Menschen, tragt Ihr die Verantwortung und die Schuld. Mögt Ihr Euch auch in der Masse der internationalen Politik verstecken.: Ihr tragt die Schuld. Jeder Einzelne von Euch ist Schuld von Euch am Leid jedes Einzelnen!


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