Die Kampagne „Auf-Recht bestehen“ in Bonn -Interview mit Dr. Gernot Reipen, Sozialpirat und Koordinator der AG-BGE

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Zu der Kampagne „AufRecht bestehen“ fanden in 30 Städten Aktionen statt, die auf die hohe Anzahl rechtlich ungültiger Bescheide der Jobcenter und auf weitere Missstände in den Jobcentern aufmerksam machen sollten. Diese Umstände führen häufig dazu, dass Betroffene, die auf die Leistungen angewiesen sind, ihre Rechte vor Gericht einklagen müssen, daher stammt das Motto der Kampagne. Am 02.10. nahm Dr. Gernot Reipen, der sich in der Kommunalpolitik engagiert, aktiv bei den Sozialpiraten mitarbeitet und als Koordinator der AG-BGE tätig ist, an der Aktion in Bonn teil. Wir fragen ihn nach seinen persönlichen Eindrücken der Aktion “AufRecht bestehen“ in Bonn.

Flaschenpost: Wie groß war die Beteiligung der Menschen an der Aktion „AufRecht bestehen“ in Bonn? Und wie lief die Aktion ab?

Gernot Reipen in Bonn| CC BY 2.0 Gernot Reipen

Gernot Reipen: Leider hatten sich nur eine handvoll Aktivisten am Donnerstag, dem 2.10, vor dem Job-Center Rochusstraße 6 in Bonn eingefunden. Für die Aktion hatte man eigens einen Handzettel vorbereitet mit der Überschrift „Respekt und Hilfe statt Abschreckung und Misstrauen“ und diverse Broschüren und Informationsmaterial auf einem Tisch ausgelegt.

Persönlich war ich ziemlich neugierig, wie man mich als Mitglied der Piratenpartei mit einer klaren Botschaft für ein bedingungsloses Grundeinkommen wahrnehmen würde. Dazu hatte ich die Vorderseite des neuen BGE-Flyers mit der Aufschrift „Für ein gerechtes und effizientes Sozialsystem – das bedingungslose Grundeinkommen – jetzt!“ auf DIN A2 vergrößert und als Demo-Schild angefertigt.

Flaschenpost: Du warst also der einzige Pirat, der sich in Bonn an der Aktion beteiligte. Wie haben die Aktivisten und die Passanten reagiert?

Gernot Reipen: Ich war selber überrascht, dass man mich gleich als Unterstützer dieser Aktion aufnahm. Wohlgemerkt, Bonn ist nicht mein Wohnort und ich kannte niemanden der Aktivisten vor Ort. Es gab auch keine kritische Anmerkung zur Piratenpartei. Dazu sollte man wissen, dass nicht jede Organisation – in diesem Fall das Sozialforum Bonn – es gutheißt, mit einer Partei in Verbindung gebracht zu werden. Was ich durchaus respektiere. Ich wurde nicht gehindert, meinen BGE-Flyer an Passanten weiterzureichen und mit ihnen eine Diskussion einzugehen.

Dabei musste ich erfreulicherweise feststellen, dass die Piratenpartei, zumindest was diese Aktion in Bonn betraf, besser in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, als derzeit über die Medien verbreitet wird. Schon in den ersten zehn Minuten meiner Anwesenheit wurde ich von einem jungen Teilnehmer der Aktion (ca. 25 Jahre) angesprochen. Ob ich Mitglied der Piratenpartei wäre, fragte er mich, und dass er sehr große Sympathie für diese Partei hege, gab er offen zu.

Wir hatten daraufhin ein sehr langes eingehendes Gespräch. Ich erklärte ihm, dass ich mich als Sozialpirat für sozialpolitische Themen einsetze und ein Verfechter des bedingungslosen Grundeinkommens sei. Und dass ich Mitglied dieser Partei wurde, um für mehr Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger in politischen Entscheidungsprozessen einzutreten.

Er antwortete mir, dass er seit einiger Zeit schon darüber nachdenkt, Mitglied der Piratenpartei zu werden. Ich fragte ihn, ob er nicht den BGE-Flyer an Freunde und Bekannte verteilen und für die Partei Werbung machen möchte. So gab ich ihm eine handvoll Flyer und einige Aufkleber mit der Aufschrift „Wir stellen das mal in Frage“. Ein Aufkleber pappte er sich auch gleich auf die Brust. Zum Schluss gab ich ihm noch meine E-mail Adresse und er solle sich melden, damit ich ihm weitere Informationen zusenden kann.

Flaschenpost: Wie wurde die Aktion von den Mitarbeitern des Jobcenters aufgenommen?

Gernot Reipen: Zwei Mitarbeiter des Jobcenters Bonn informierten sich am Stand der Aktivisten über ihre Forderungen. Das Jobcenter Bonn hat für sich ein Leitbild für den Umgang mit Arbeitssuchenden verfasst. „Unsere Grundhaltung gegenüber Kunden ist positiv, respektvoll und freundlich“, heißt es darin. Außerdem sei man stolz, dass man in Bonn ältere Menschen (50+) im Vergleich zu NRW überdurchschnittlich vermitteln konnte. Grund dafür sei ein eigenständiger Arbeitskreis von Mitarbeitern, der sich speziell mit der Arbeitssituation von Menschen über 50 beschäftigt.

Was mir positiv auffiel, war die Beobachtung, dass von Seiten des Jobcenters Bonn die Sorge und die Befürchtungen der Aktivisten in Sachen SGB II-Vereinfachung durchaus ernst genommen wurden. Ein Meinungsaustausch war erwünscht. Man nahm sich genügend Zeit, mit den Aktivisten vor Ort zu sprechen. Ich persönlich hatte ein sehr intensives und interessantes Gespräch mit einem Mitarbeiter des Jobcenters.

Flaschenpost: Wie kam die Tatsache bei den Organisatoren an, dass die Piratenpartei die Kampagne so aktiv unterstützt hat?

Gernot Reipen: Gegen Ende wechselte ich auch einige Worte mit dem Organisator der Aktion vom Erwerbslosenforum in Bonn. Mir ging es hauptsächlich darum, Kontaktdaten auszutauschen. Dass die Piratenpartei diese bundesweite Aktion unterstützt hat, fände er schon beachtlich und sei auch darüber positiv überrascht gewesen. Im übrigen aber wäre er kein Anhänger des bedingungslosen Grundeinkommens. Auf die Frage, warum, sagte er mir, dass er Marxist wäre und das Grundeinkommen nur das kapitalistische System unterstützen würde. Wenn auch die Ziele unterschiedlich wären, so könne man doch zunächst die gleichen Wege einschlagen und ein Grundeinkommen wäre allemal besser als die derzeitige Hartz-IV-Regelung.

Flaschenpost: Würdest du dich wieder an einer ähnlichen Aktion beteiligen?

Gernot Reipen: Auf jeden Fall. Für mich hat sich diese 3½ stündige Aktion gelohnt. Ich hatte sehr interessante Gespräche mit Passanten und ich hoffe, dass der ein oder andere mal am Treffen der Initiative Grundeinkommen teilnehmen wird, welches regelmäßig vierzehntägig in Bonn stattfindet. Zu diesem Treffen hatte ich alle Interessierte eingeladen.

Im übrigen ist für mich wieder einmal deutlich geworden, wie wichtig das direkte Gespräch mit Bürgerinnen und Bürgern ist. Nur so können wir erfahren, was den Menschen derzeit bewegt und beschäftigt, was Probleme und Ängste hervorruft und wo der „Schuh drückt“! Außerdem lassen sich Vorurteile und Fehlinformationen zur Piratenpartei ausräumen und der eine oder andere für die Partei gewinnen. Flaschenpost: Welche Gründe sprechen deiner Meinung nach für ein stärkeres Engagement der Piraten in der Sozialpolitik?

Gernot Reipen: Der Satz von B. Brecht gilt nach wie vor: „Erst kommt das Fressen, dann die Moral!“ Wir können und dürfen sozialpolitische Themen als Partei nicht ausklammern. Diese haben einen sehr hohen Stellenwert bei den Menschen. Interessant ist auch die Studie, dass den Piraten durchaus Kompetenz im Bereich sozialer Gerechtigkeit zugesprochen wird. Dies mag dem Umstand geschuldet sein, dass wir weder als eine links, noch rechts orientierte Partei in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Pirat Reinhard Schmitz aus Bremen hat kürzlich den klugen Satz formuliert: „Wir sind eine Partei der Vernunft!“ Ich möchte noch ergänzend hinzufügen: „Wir sind eine Partei der Bürgerinnen und Bürger!“ Gerade Letzteres haben wir in vergangener Zeit versäumt, klar herauszustellen. Ich erinnere noch an den Slogan von 2011 und 2012 „Wir sind eine Mitmachpartei!“ Darauf sollten wir in Zukunft wieder verstärkt hinweisen.

Flaschenpost: Welche Argumente sprechen dafür, dass BGE als Kernthema der Piraten zu erhalten?

Gernot Reipen: Die Piratenpartei stellt die Persönlichkeitsrechte, die Würde und die Freiheit der Menschen in den Mittelpunkt ihrer Politik: „Trotz aller Lippenbekenntnisse sind die Würde und die Freiheit des Menschen in bisher ungeahnter Art und Weise gefährdet“.

Für mich stützen sich Würde, Freiheit und persönliche Entfaltung auf drei voneinander untrennbare Säulen. Säule 1 sind die Persönlichkeitsrechte wie Privatsphäre, Datenschutz, Selbstbestimmung, Meinungsfreiheit. Säule 2 schließt Bildung und angrenzende Bereiche ein, wie Recht auf lebenslanges Lernen, Informationsfreiheit, freies, unzensiertes Internet usw. Säule 3 trägt dem Umstand Rechnung, dass Säule 1 und 2 in unserem derzeitigen Wirtschaftssystem nur dann uneingeschränkt realisierbar sind, wenn jeder Bürger finanziell ausreichend abgesichert ist. Nur derjenige, der nicht um das tägliche Brot bangen und betteln muss, ist frei und unabhängig, so wie wir Piraten unser Menschenbild anstreben. Deshalb stellt für mich das bedingungslose Grundeinkommen ein elementar wichtiges Kernthema unserer Politik dar. Flaschenpost: Vielen Dank für dieses Interview und den interessanten Vor-Ort-Bericht! Du hast uns noch mal deutlich gemacht, wie wichtig der Kontakt zu  Bürgerinnen und Bürgern ist und dass wir in der Öffentlichkeit aktiver werden müssen, auch wenn das manchmal Überwindung kostet.


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