Ein Diskussionsbeitrag von Jonas Boungard erschienen auf der Bundes-Website
Um »Terrorverdächtige« an der Ausreise aus Deutschland zu hindern, plant das Bundesinnenministerium den Entzug des Personalausweises verdächtiger Personen. Stattdessen sollen sie ein Ersatzdokument erhalten, dessen Geltungsbereich auf Deutschland beschränkt ist und das »einen deutlichen Hinweis auf diese Geltungsbeschränkung enthält«. Auch wenn das Ziel der Maßnahme nachvollziehbar erscheint, muss man sich dennoch dringend vor Augen führen: Der Zweck heiligt nicht die Mittel. Der Entzug des Personalausweises und die Schaffung eines Ersatzdokuments greifen tief in die Grundrechte Betroffener ein.
Nach den jetzigen Verlautbarungen des Innenministers reichen allerdings schon Indizien, um plötzlich ohne Personalausweis dazustehen. Dies ist eines Rechtsstaats unwürdig. Wenn es einen konkreten Tatverdacht gibt, dann hat man bereits nach aktueller Rechtslage ausreichend Handhabe gegen Verdächtige. Neue, nur auf diffusem Verdacht basierende Maßnahmen zu fordern, ohne überhaupt Kontrollinstanzen, wie etwa einen Richtervorbehalt, zu erwähnen, zeugt nur von blindem Aktionismus, der in Anbetracht der Tragweite eines solchen Eingriffs gefährlich ist.
Grundrechtseingriffe auf Basis von Indizien sind ein Dammbruch. Die Schwammigkeit von Kriterien lädt zum Missbrauch ein. Schon jetzt verhindert die Intransparenz von Geheimdiensten wie Verfassungsschutz und BND, nachzuvollziehen, wie die Zahlen über potenzielle Terroristen in Deutschland zustande kommen. Genauso sind auch mit der angestrebten Regelung zum Personalausweis Fehlentscheidungen vorprogrammiert.
Die Terroristen des Islamischen Staats lehnen die freiheitlich-demokratische Grundordnung und damit den Rechtsstaat ab. Wir können diesen Gegnern des Rechtsstaats nicht begegnen, indem wir diesen immer weiter aushöhlen. Ganz im Gegenteil: Wir müssen weiter auf unseren rechtsstaatlichen Prinzipien beharren, auch wenn dies im Angesicht solch menschenverachtender Organisationen schwerfallen mag.
Denn eines ist sicher: Der größte Sieg von Terroristen wäre es, wenn wir unsere Werte – die sie so sehr ablehnen – aufgeben. Diesen Sieg dürfen sie nicht erringen. Wenn wir langfristig in Freiheit leben wollen, müssen wir weiterhin hohe Maßstäbe an unsere Gesetze und den Umgang mit Verdächtigen anlegen.
Wie können wir hoffen, der Unfreiheit entgegenzutreten – wenn nicht in Freiheit?
Kommentare
12 Kommentare zu Quasi-Strafen gegen Verdächtige sind eines Rechtsstaats unwürdig
So auch Frankreich. Das Gesetz dazu wurde gleich nach der 1. Lesung diese Tage durchgewunken:
http://www.senat.fr/leg/pjl14-010.html
Leider nur auf Französisch, dort aber unter “CHAPITRE IV” Nummer 2.
Und kein Wort dazu von unsere BuKa Merkel in ihrer wöchentlichen Videobotschaft:
http://www.bundeskanzlerin.de/Webs/BKin/DE/Startseite/startseite_node.html
Dort geht es lediglich um ihr Neuland und ihr Verständnis von Netzneutralität.
Und hier präsentiert das BMI die Misere, also das Ersatzdokument:
http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Bilder/DE/Nachrichten/2014/10/imk-ersatz-personalausweis.html
Ob auf der Rückseite wohl so ein gelber Stern ist? Ach was, diesmal trifft es ja eine andere Spezies…alles halb so wild, es trifft ja nur die Anderen…dieses Mal wenigstens noch.
Wollt Ihr diesen meinungsstarken Artikel nicht vielleicht noch mit juristischen Details anreichern?
In welche konkreten Grundrechte wird hier (“tief”) eingegriffen?
Welche “schwammigen” Kriterien werden hier angelegt (Quelle)?
Was unterscheidet die Maßnahme von schlichtem Passentzug und Ausreiseverbot?
Hallo Eric,
Freizügigkeit ist ein Recht in der EU für Unionsbürger. Außerdem ist Freizügigkeit nach der UN-Charta ebenfalls ein Menschenrecht. Man kann mMn außerdem insbesondere aus Art 2 GG durch die Allgemeine Handlungfreiheit ableiten, dass Personen die Möglichkeiten, die ihnen durch die staatliche Dokumente wie dem Perso gewärt werden, auch erstmal frei nutzen können.
Grundrechtseingriffe sind ja per default quasi erstmal nicht erlaubt. Erst, wenn die Grundrechte anderer oder Weiterbestand der FDGO entscheidend beeinträchtigt wird, kann ein Grundrechtseingriff vorgenommen werden. Diese Kriterien anhand von Indizien erfüllt zu sehen, halte ich mal gelinde gesagt für gewagt.
Desweiteren sind Betroffene – zu Recht oder zu Unrecht spielt dabei erstmal keine Rolle – einer Stigmatisierung ausgesetzt. Dies betrifft besonders das Ersatzdokument. Warum behandelt man Verdächtige von Terrorismus anders als Verdächtige andderer Straftaten? (Credits für diesen Hinweis gehen an Hauke) In einem Rechtsstaat gilt der Gleichheitsgrundsatz. Dieser wird durch die Ausstellung von Ersatzdokumenten allein an Terrorverdächtige verletzt.
Die Schwammigkeit entsteht durch die reine Bezugnahme auf Indizien. In einem Rechtsstaat sind jedoch immer klare Regeln notwendig, nach denen Entscheidungen getroffen werden. Beweise, wie sie in einem Prozess zusammengetragen werden, erfüllen diese Einhaltung klarer Regeln, Entscheidungen auf Basis von vagen Verdachtsfällen nicht. Die Schwammigkeit ist außerdem besonders dadurch gegeben, dass es keine öffentlich nachvollziehbaren Kriterien gibt, nach denen Sicherheitsbehörden klarmachen, wann sie jemanden für einen Terrorverdächtigen halten. Klar benötigt man auch immer einen gewissen Spielraum, und nicht umsonst werden unbestimmte Begriffe im Recht bis zu einem bestimmten Maß akzeptiert. Es gibt jedoch eine Grenze, und diese sollte man gerade in solch heiklen Fällen eng setzen.
Hallo Tegres,
danke für die Antwort.
Verschiedenen Medienberichten habe ich entnommen, dass die Einschränkung der Reisefreiheit bei vorliegenden Verdachtsmomenten überhaupt nichts neues ist.
Neu ist allenfalls, dass dann der Personalausweis gegen ein Ersatzdokument eingetauscht werden soll. Ersatzdokumente für den Perso wiederum sind auch nichts neues, es gibt sie schon als Provisorium bei Verlust desselben.
Was die ‘Schwammigkeit’ der Verdachtsmomente angeht, fehlt mir hier immer noch etwas Konkreteres (Link etc.). Generell ist das Problem immer, dass Sicherheitsbehörden Ermessensspielräume brauchen, um präventiv wirken (oder überhaupt beizeiten eingreifen) zu können. Andererseits sind diese Spielräume dann auch immer missbrauchbar.
Stigmatisierung finde ich in dem Zusammenhang ein merkwürdiges Argument. Die gibt es natürlich (wie auch in sehr vielen anderen Situationen und mit verschiedenen Begründungen), sie muss aber irgendwie schon im Kontext mit der Gewaltprävention gesehen werden. Z.B. werden manchmal Menschen öffentlich in Hand- oder sogar Fußfesseln gelegt (und zwar nicht zur Bestrafung, sondern zur Prävention), was sicherlich eine sehr viel stärkere Stigmatisierung bedeutet als ein Dokument, welches nur selten hergezeigt werden muss. Und auch das mag nicht immer gerechtfertigt sein, aber manchmal vielleicht schon. Die Frage hier wäre also eher, was so ein Perso-Ersatzdokument praktisch bringt oder nicht bringt. Solche Erwägungen fehlen in dem Artikel aber völlig.
Und dass ‘Idee’ um 00:51 gleich schon wieder Parallelen zur Judenverfolgung meinte ziehen zu müssen, ist m.E. ein Indiz für eine deutliche (leider keineswegs piraten-untypische) Überhitzung.
Witzig finde ich, dass Staatsskeptiker eigentlich gerne staatliche Ausweise und Ausweispflicht ablehnen, hier aber scheinbar der Personalausweis sogar als Grundrecht postuliert wird (wie gesagt: die Reisefreiheit hängt letztlich nicht am Personalausweis, sondern kann auch so beschränkt werden).
“Verschiedenen Medienberichten habe ich entnommen, dass die Einschränkung der Reisefreiheit bei vorliegenden Verdachtsmomenten überhaupt nichts neues ist.”
Die verstehe ich mehr als Anspruch, bei allen Einschränkungen der Reisefreiheit genauer hinzusehen. Vielleicht hat die Debatte um die Ausreisesperre für Terrorverdächtige ja genau den Nutzen, solche Ausreisesperren auch in anderen Fällen kritisch zu reflektieren.
Denn bei konkretem Verdacht halte ich Ausreisesperren für ein angemessenes Mittel. Nun ist konkret ein Begriff über den man sich streiten kann. Jedoch würde ich folgende Maßstäbe ansetzen, aquivalent zu dem, was für eine Veruteilung notwendig wäre: 1. Verdacht auf individuelle Straftat, oder Vorbereitung derselben. Kollektivstrafen gehen halt nicht, Schuld müsste für eine Veruteilung schließlich auch individuelle nachgewiesen werden. 2. Es gibt Hinweise auf die Planung einer Ausreise. Bei Personen, die der Unterstützung vor Ort in Deutschland verdächtigt werden, ist eine Ausreisesperre unangemessen, da diese nicht im nötigen Kontext zum Verdacht stünde. 3. Kontrollinstanz wie ein Richtervorbehalt. Ermittlungsbehörden müssen eine Kontrollinstanz überzeugen können, dass es sich um einen konkreten Tatverdacht handelt. Dies wären klare Kriterien, die trotzdem genug Spielraum lassen.
Schwammigkeit könnte außerdem durch die simple Veröffentlichung der Kriterienliste von Ermittlungsbehörden kommen, wonach diese Statistiken über radikale Islamisten und Ausreisewillige anfertigen. Klingt vielleicht erstmal danach, als wollte ich den Steine in dem Weg legen, ich sehe es aber schlichtweg als gutes Recht der Öffentlichkeit an, klar informiert zu werden, schließlich sollen diese Maßnahmen unserem Wohl dienen. Dies müssen aber auch die, um deren Wohl es gehen soll, überprüfen können.
Dies sollte natürlich nicht nur für Terror- sondern für alle Verdächtigen gelten.
Damit kämen wir zum nächsten Punkt, den ich nochmal wiederholen möchte: Gliecheitsgrundatz.
Du schreibst richtig: “Neu ist allenfalls, dass dann der Personalausweis gegen ein Ersatzdokument eingetauscht werden soll. Ersatzdokumente für den Perso wiederum sind auch nichts neues, es gibt sie schon als Provisorium bei Verlust desselben.”
Der Ausweisersatz ist mMn eine ganz andere Hausnummer als ein Perso-Provisorium. Er beinhaltet im Gegensatz zum Provisorium eine Kategorisierung. Seltsam ist hierbei auch, dass Terrorverdächtige die einzige Verdächtigengruppe sind, für die es solch ein Ersatzdokument geben soll, für andere Verdächtige gibt es dies nicht und ist mWn auch nicht geplant.
Stigmatisierung mag einem in diesem Kontext tatsächlich als seltsamer Punkt erscheinen, ich denke hier jedoch vorallem an das allgemeine Bild bestimmter Bevölkerunggruppen in der Öffentlichkeit, und ganz besonders an all jene, die vollkommen zu Unrecht beschuldigt werden. Dazu kann man zu oben die folgende Brücke schlagen: Desto intransparenter die Klassifizierung durch Ermittlungsbehörden erfolgt, desto wahrscheinlicher, dass Kontrolle fehlt, und Fehlentscheidungen getroffen werden.
tl;dr: Ausreisesperren gegen Verdächtige ja, aber nur nach schärferen Kriterien für ihre Verhängung und Transparenz der Kriterien, die den Verdacht begründen.
Dieser Islamistenausweis ist eine verfassungswidrige Diskriminierung, die JEDEN benachteiligt:
1. ist nur Terrorist, wer wegen Terrorismus strafrechtlich verurteilt ist. Unser Bundesinnenminister möchte den Personalausweis für Bürger 2. Klasse jedoch auch an Personen ausgeben, die nicht verurteilt sind und deshalb allen anderen Menschen gleichgestellt sein müssten. Somit findet hier eine Diskriminierung von sogenannten angeblichen „Terrorverdächtigen“ statt (die jedoch im Zweifel garkeine Terroristen sind).
2. werden Terroristen, die keinen Islamistischen Hintergrund haben, durch diese Regelung unzulässig bevorzugt. Wenn man Terroristen schon einen Ausweis der zweiten Klasse gibt, dann müsste dieser für alle Terroristen gleichermaßen VErwendung finden. Es gibt keinen Grund, einem Islamistischen Terroristen den normalen Personalausweis zu verweigern, wenn etwa ein Rechtsterrorist der NSU den normalen Perso weiterhin besitzen darf. Somit werden hier die vermeintlichen Islamisten erneut terrorisiert.
3. liegt hier eine Diskriminierung von nicht-Islamisten vor; Wenn ein Islamist nämlich das Recht hat einen Personalausweis ohne Schnüffelchip zu erhalten, dann sollte dieselbe Möglichkeit auch für nicht-Islamisten bestehen.
4. Wer keines der beiden Dokumente erhalten darf, ist ebenfalls von Diskriminierung betroffen (aber das ist ein anderer Topf, den ich jetzt nicht aufmachen will).
5. Es verstößt gegen die UN-Menschenrechtskonvention, jemanden am verlassen eines Landes (einschließlich seines eigenen Landes) zu hindern.
Wie war das noch gleich mit den _Zwangskennzeichen_ für Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen von 1935 rechtlich als Juden galten?
Wie bereits an anderer Stelle gesagt: Der Vergleich ist unangebracht und beleidigt Menschen der rassistischen Verfolgung im Dritten Reich.
Sehe ich auch so. Goodwin ist hier unangebracht.
Aus der DDR durften Leute auch nicht ausreisen, oder?