In Neuland auf Abwegen

Marionettentheater | CC BY 2.0 Priit Tammets

Beitrag von Boris Turovskiy erschienen auf der Flaschenpost.

Günther Oettinger | CC BY 2.0 European People’s Party

Günther Oettinger | CC BY 2.0 European People’s Party

Als die Ernennung Günther Oettingers, der sich seinerzeit in Baden-Württemberg als Ministerpräsident nicht mit Ruhm bekleckerte und anschließend in die EU-Kommission abgeschoben wurde, zum Digitalkommissar bekannt wurde, war der Spott im Netz groß. PARTEI-Chef und Titanic-Chefredakteur Sonneborn nutzte die Fragestunde im EU-Parlament zum genüsslichen Trollen und Oettinger selber sorgte für einen Eklat, als er die Affäre um die öffentlich gemachten Nacktbilder von Prominenten mit dem, nicht nur wenig sensiblen, sondern auch faktisch vollkommen absurden Verweis kommentierte, sie wären selber schuld. Nun macht er seine ersten Schritte im neuen Ressort und es wird erkennbar, dass er sich einiges vorgenommen hat. Doch was sind diese Vorschläge des ausgewiesenen Internet-Experten, der vermutlich erst vor wenigen Jahren damit aufhörte, seine Mails auszudrucken? Und was verbirgt sich dahinter – nur vollkommene Ahnungslosigkeit, oder eine tatsächliche Agenda?

Die von Oettinger angekündigte europaweite Harmonisierung des Urheberrechts ist ein lobenswertes Ziel – aber auch eine Herkulesaufgabe, die sich kaum in absehbarer Zeit im nennenswertem Umfang bewältigen lässt. Umso interessanter sind die konkreten Schritte, die der Digitalkommissar vorschlägt. Davon gibt es momentan nur einen: eine europaweite Urheberrechtsabgabe. Dabei handelt es sich, den ersten Berichten zufolge, um eine europaweite Einführung des Leistungsschutzrechts nach deutschem Vorbild. Dieses Leistungsschutzrecht aber, das in Deutschland auf Druck der Verlagslobby durchgepeitscht wurde, erwies sich als genauso sinn- und wirkungslos, wie es Kritiker vorhergesagt haben – und gipfelte in einer pauschalen Gratislizenz, die seitens der Verlage an Google gewährt wurden. Die einzigen Leidtragenden dieser Gesetzgebung sind kleinere Suchmaschinenbetreiber, die keine Gratislizenz erteilt bekamen und jetzt einen weiteren Nachteil gegenüber Google haben. Dieses Erfolgsmodell will Oettinger also anscheinend zum Exportschlager machen.

Auch der nächste Vorschlag des neuen Digitalkommissars hat es in sich: um den Netzausbau voranzutreiben, erwägt er, Nutzern den Wechsel des Netzanbieters zu erschweren. Ökonomen rollen landauf, landab mit den Augen, denn eine Einschränkung des Wettbewerbs solcher Art kann nur eine Verschlechterung der Lage für die Kunden bedeuten, sei es durch steigende Preise oder (noch) schlechteren Kundenservice. Bereits jetzt sind die meisten DSL-Verträge mit einer Mindestvertragslaufzeit von zwei Jahren versehen; diese erzwungene Kundenbindung hat nur wenig für den Netzausbau, dafür umso mehr für den Frustpegel der Internetnutzer getan. Ob eine gesetzlich festgeschriebene Anbieterbindung tatsächlich für schnelleren Netzausbau sorgen wird, ist also fragwürdig. Mit Sicherheit wird sie hingegen für einen schnelleren Profitausbau der Telekom und ihrer Konkurrenten sorgen.

Es gibt ein weiteres Thema, das in den bisherigen Vorschlägen von Oettinger keine Erwähnung fand, aber in direktem Zusammenhang mit beiden bereits geäußerten Ideen steht: Netzneutralität, also die Gleichbehandlung von Daten durch Anbieter. Die Netzneutralität ist den Netzbetreibern seit langem ein Dorn im Auge. Forderungen, diese aufzuweichen, sind immer wieder zu hören – oftmals mit der selben Argumentation, die Oettinger jetzt aufgreift. Dass nämlich nur so Investitionen in den Netzausbau profitabel getätigt werden können. Eine Aufhebung der Netzneutralität hätte zur Folge, dass Netzanbieter eigene Online-Angebote bevorzugt behandeln könnten und von externen Dienstleistern, wie eben Google oder Facebook, Gebühren für eine annehmbare Qualität der Datenübertragung verlangen. Das wiederum ähnelt sehr der Intention des vorgeschlagenen Leistungsschutzrechts. Netzneutralität ist ein Eckstein des freien Internets, wie wir es heute kennen. Es gilt, sehr genau zu beobachten, was der Digitalkommissar dazu zu sagen hat, denn die Vorzeichen stehen nicht gut.

Oettinger scheint erpicht darauf zu sein, alle Befürchtungen, die Skeptiker beim Bekanntwerden seiner Ernennung zum Digitalkommissar äußerten, so schnell wie nur möglich zu bewahrheiten. Das bekannte Prinzip von Hanlon’s Razor besagt, man solle nichts einer bösen Absicht zuschreiben, was genauso durch Dummheit erklärt werden könnte. Dem folgend könnte im Fall Oettinger eine, für die Union nicht untypische, totale Inkompetenz in Sachen Netzpolitik diagnostiziert werden. Da Netzpolitik mittlerweile kein Nischenthema für Nerds ist, sondern immer mehr Gesellschaftsbereiche tangiert und beeinflusst, ist schon diese Vorstellung alles andere als erfreulich. Und es gibt wenig Zweifel, dass Oettingers geballte Kompetenz in Sachen Digitalpolitik wohl auf den so oft bemühten Bierdeckel passen würde. Dennoch lassen seine Vorschläge ein Muster erkennen, das nicht nur auf Ahnungslosigkeit, sondern auch auf eine bewusste Strategie hinweist.

Oettinger bedient, rhetorisch wie inhaltlich, einen Narrativ, der gerade in Deutschland in jeder Debatte über Netzpolitik mitschwingt. Medien machen es sich dabei genauso zunutze wie Politiker unterschiedlicher Coleur. Es fängt mit Kritik an US-Konzernen, allen voran Google und Facebook, an, die schnell den Bereich des Rationalen verlässt und apokalyptische Feindbilder heraufbeschwört. Das ermöglicht den Politikern eine Inszenierung als Beschützer der Menschen gegen diese “Moloche”. Heimische Unternehmen, die zu den Verlierern der digitalen Revolution zählen – und dazu gehören eben auch klassische Printmedien – springen sofort auf und spinnen eine Mär von den ehrhaften deutschen Verlegern, Buchhändlern und Taxifahrern, die gegen die Übermacht profitgeiler und skrupelloser US-Konzerne ankämpfen. Das wiederum ruft die Politik auf den Plan, die so unternehmensfreundliche Gesetze erlassen kann, ohne zu befürchten, dass das Volk es ihr übel nimmt – schließlich geht es um den Schutz gegen die Bösen! Dabei werden verschiedene Vorurteile und Vorbehalte bedient: ein allgemeines Misstrauen gegenüber neuen Technologien; eine tief verwurzelte Abneigung gegen erfolgreiche Unternehmen; latenter Antiamerikanismus; und schließlich sogar verwundeter Nationalstolz ob der Tatsache, dass Deutschland, Fußball-, Export- und Ingenieursweltmeister, ein digitales Entwicklungsland bleibt. Dass allerdings genau solche Ressentiments für diesen Zustand verantwortlich sind wird entweder verkannt oder billigend in Kauf genommen.

Es steht außer Frage, dass das ausufernde Sammeln, Zusammenführen und Auswerten von Daten, wie es sich große Internetkonzerne zum Geschäftsmodell gemacht haben, einer kritischen Betrachtung bedarf. Dass aber Vertreter von Parteien, die seit Jahren eine Vorratsdatenspeicherung einführen wollen und denen keine noch so unverhältnismäßige Überwachungsmaßnahme zu weit geht, sich auf diese Weise als Verfechter des Datenschutzes profilieren, ist geradezu abstrus. Ebenso widersprüchlich ist die Haltung vieler Unternehmen, die ansonsten bei jeder Gelegenheit für den freien Markt und gegen Regulierung wettern, aber sehr schnell den Staat um Hilfe bitten, wenn es um die Erhaltung der eigenen Pfründe geht.

Sascha Lobo machte vor einigen Wochen eine interessante Beobachtung über Merkels Digitalpolitik: was auf den ersten Blick als Inkompetenz erscheint, ist in Wirklichkeit Teil einer ganz bewusst gefahrenen Strategie. Er bezog sich dabei auf die Haltung zum Überwachungsskandal, aber es trifft auch auf andere Bereiche der Netzpolitik zu. Es wäre schon schlimm genug, wenn EU-Netzpolitik im Jahre 2014 von Menschen mit Null Ahnung gesteuert würde. Die Anzeichen lassen aber vermuten, dass sie vielmehr von Menschen mit wenig Ahnung, dafür aber umso mehr stammtischkonformer Meinung und offenen Ohren für die Vorschläge von heimischen Lobbyisten bestimmt wird. Und je wichtiger die Digitalpolitik für alle Bereiche der Gesellschaft wird, umso dramatischere Auswirkungen wird eine solche Herangehensweise haben, wenn sie nicht gestoppt werden kann.


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