Beitrag erschienen bei der Flaschenpost
Am 1. November fand in Frankfurt die unter Federführung der Piratenpartei organisierte Demonstration “Glücklich ohne Überwachung” statt. Über hundert Piraten und Sympathisanten zogen durch die Innenstadt, um gegen die ausufernde Überwachung seitens der Geheimdienste zu protestieren. Die Demo setzte dabei besonders auf den Party-Charakter als Gegenentwurf zu der Atmosphäre der Angst, die durch Überwachung entsteht.
Um 12 Uhr startete die Kundgebung wie geplant am Hauptbahnhof. Die Teilnehmerzahl hielt sich in Grenzen, dafür war die Dichte an Piratenflaggen umso höher. Als einzige Partei nahm außerdem die LINKE erkennbar an der Kundgebung teil. Nachdem Martina Flasch die Anwesenden im Namen des Orgateams begrüßte, ging es auch schon mit den Reden los. Der Bundesvorsitzende der Piratenpartei, Stefan Körner, sprach kurz, fand aber deutliche Worte. Der Landtagsabgeordnete Dr. Ulrich Wilken von den Linken betonte, dass Whistleblower Schutz verdienen, anstatt verfolgt zu werden, und wies im Hinblick auf das Fernbleiben von CDU und SPD von der Demonstration darauf hin, wer unsere gemeinsamen Gegner sind. Anonymous wurde durch drei Guy-Fawkes-Maskenträger vertreten, die etwas langatmig die Geschichte der Anon-Bewegung von einem Blatt ablasen und schließlich die Gelegenheit für einen Seitenhieb gegen Facebook und die “narzisstische Selbstinszenierung”, die Menschen dort betreiben, nutzten. Warm empfangen wurde Katharina Nocun, ehemalige politische Geschäftsführerin der Piratenpartei, die jetzt für Campact Kampagnen zum Thema Überwachung und Bürgerrechte betreut. Sie hielt eine leidenschaftliche Rede gegen Überwachung und prangerte die unhaltbaren Zustände im NSA-Untersuchungsausschuss an. Anschließend machte sich die Demonstration durch die Innenstadt auf.
Der Demonstrationszug schwoll unterwegs deutlich an. Neben Piraten waren auch Vertreter der PARTEI und dem Verein Doña Carmen, der sich für Rechte von Prostituierten engagiert, mit Transparenten sichtbar. Mit (natürlich unter freier Lizenz verfügbarer) Musik und wiederholten Aufrufen an die Passanten, dass das Thema auch sie angeht, zog die Prozession durch die Stadt. Als einziger Kritikpunkt fiel auf, dass die an die Passanten gerichteten Sprüche teilweise an Beleidigungen grenzten – es ist wenig zielführend, jemanden, den man von seiner Position überzeugen will, als ‘Stimmvieh’ anzusprechen. Am Römer gab es ein Intermezzo, bei dem Knut Bänsch vom hessischen Landesvorstand über die Gefahren von marktkonformer Demokratie und Big Data sprach. Danach musste jeder, der Piratenveranstaltungen kennt, schmunzeln, als vom Moderator die Ansage kam, dass sich “der nächste Redner bitte auf der Bühne einfinden solle, da ich keine Ahnung habe, wer das sein soll”. Die Demonstration zog daraufhin weiter und kam wenig später am Zielpunkt an, wo bereits Infostände von Piraten und Doña Carmen, sowie eine mobile Bühne wartete. Dort gab es erneut Reden, wobei nicht nur Piraten, sondern auch Vertreter anderer Organisationen zu Wort kamen. Dr. Vedrin Sahovic von Amnesty International redete über Zensur und die Verfolgung von Bloggern. Der frühere politische Geschäftsführer der bayerischen Piraten und jetziger Bundespressesprecher der Neuen Liberalen Aleks Lessmann, der seinen Auftritt mit einem munteren “Guten Tag, ihr Terroristen!” einleitete, betonte die Wichtigkeit, das Grundrecht der Freiheit über das Bedürfnis nach Sicherheit zu stellen. Juanita Henning von Doña Carmen kritisierte den Gesetzesentwurf zur Zwangsregistrierung von Prostituierten, den sie mit Gesetzen aus der Nazi-Zeit verglich. Das Sexgewerbe sei ohnehin schon überproportional kontrolliert, “in einem Ausmaß, das jedes totalitäre Regime vor Neid erblassen würde”. Sie betonte auch, dass es nicht nur um die Rechte einer Berufsgruppe, sondern auch um den liberalen Umgang der Gesellschaft mit Sexualität als Ganzes ginge und lobte die Piratenpartei, die als erste Partei Widerstand gegen das Gesetzesvorhaben bekundete. Moderiert wurden die Reden, wie schon davor, vom politischen Geschäftsführer der Piratenpartei, Kristos Thingilouthis. Für Verwirrung sorgte die Ankunft eines Demonstrationszuges linker Kurden samt schwerer Polizeibegleitung, der wesentlich zahlreicher als die Demo der Piraten war und deren Verlauf erheblich störte. Die Frankfurter Behörden haben es anscheinend nicht für nötig erachtet, die Organisatoren der Demo im voraus darüber zu informieren, weshalb sie genauso überrascht waren, wie die Teilnehmer. Dennoch gelang es, die Kundgebung planmäßig abzuschließen und zum Party-Teil überzugehen – dem Auftritt der Gothic-Band Insane-Ly Smart. Das Open-Air-Konzert zog viele interessierte Passanten an, die so ins Gespräch über unsere Themen kamen. Am Abend fand anschließend noch eine Cryptoparty statt.
Kristos Thingilouthis ist begeistert von dem Verlauf der Demo: “Supergeil! Ein besonderer Dank gebührt allen, die an der Orga beteiligt waren und sie unterstützt haben. Neben hessischen Piraten haben auch viele andere Landesverbände mitgeholfen. Erfreulich ist auch, dass die Aktion durch die Vielzahl an Piratenfahnen klar als Piratenaktion nach außen erkennbar war. Damit sind wir großgeworden, und darauf müssen wir uns wieder besinnen! Lediglich die Webseite hätte in dieser Hinsicht noch besser sein können – als wir sie anlegten, wussten alle Beteiligten schon so, dass Piraten dahinterstehen, wir haben aber verpasst, deutlicher zu kommunizieren, dass es sich um eine Piratenveranstaltung handelt.” Als Erfolgsrezept sieht Kristos vor allem die lange Vorbereitungszeit der Aktion: “Wir haben schon im Juli mit der Planung angefangen und hatten so mehrere Monate Zeit, um die Demo vorzubereiten. Das Ergebnis ist dann auch besser, als bei einer Veranstaltung, die kurz vor knapp zusammengewürfelt wird.”
Auch Martina Flasch, die maßgeblich an der Organisation der Demo beteiligt war, zeigt sich optimistisch: “Angesichts des zeitgleich stattfindenden Landesparteitags in Nordrhein-Westfalen ist die Beteiligung ganz gut. Wir haben auch gezeigt, dass das Konzept einer Party gegen Überwachung funktioniert. Wir haben in der Vergangenheit zu oft mit Bedrohungsszenarien Angst geschürt, dadurch resignieren die Menschen aber eher, als dass sie sich uns anschließen. Ich kann mir vorstellen, dass auch im kommenden Wahlkampf in Hamburg, dem die Aufmerksamkeit aller Piraten in nächster Zeit gelten wird, eine solche Demo-Party gegen Überwachung durchgeführt werden könnte.”