Was bedeutet eigentlich Flucht? – Interview mit einer Flüchtlingsfamilie

(CC-BY) noborder network

Ein Gastbeitrag von @BerndPirat und @TIMECODEX vom Landesverband Nordrhein-Westfalen, erschienen auf der Bundes-Website.

Tagtäglich sind Menschen auf der Flucht, Sie fliehen vor Terror, Unterdrückung und Kriegen. Sie verlassen ihre Heimat, damit ihre Kinder nicht verhungern. Viele Mitteleuropäer kennen den Begriff »Flucht« heute nur noch aus Erzählungen oder aus den Nachrichten. Was es wirklich bedeutet, fliehen zu müssen, in eine ungewisse Zukunft, in ein fremdes Land, ist eine Erfahrung, die den meisten von uns erspart bleibt. Bernd Worm, stellvertretender Pressesprecher der NRW Piraten, hat für unseren Podcast »Krähennest« ein Interview mit einer irakischen Familie geführt, das uns den abstrakt gewordenen Begriff »Flucht« sehr plastisch vor Augen führt.

Die Aufnahme kann im Krähennest-Podcast heruntergeladen oder direkt im Browser angehört werden.

Als Angehörige einer christlichen Minderheit im überwiegend muslimischen Irak, war die Famile Bernadett Repressionen ausgesetzt, die bis hin zum Erschiessen von Mitgliedern der christlichen Gemeinde reichten. Der Vater hat »im Zement« gearbeitet, erzählt die Tochter – eine schwere Arbeit für ungefähr 70 US-Dollar im Monat. Seine Kollegen drangsalierten ihn, den Christen, zum Islam zu konvertieren, und haben ihn wiederholt bedroht:

 

Wenn Ihr keine Moslem werdet, dann werden wir Euch umbringen. Wir kennen jetzt nicht nur Deine Familie, sondern auch Deine Eltern, Deine Geschwister.

Die Schilderung der Tochter ist bedrückend und sollte jedem die Schamesröte ins Gesicht treiben, der behauptet, »die« kämen ja nur als »Wirtschaftsflüchtlinge« zu uns. Die einzige Möglichkeit für Menschen in dieser Lage ist es, sich Schlepperbanden anzuvertrauen, die ihre Notlage ausnutzen und sie bis an die Grenze der finanziellen Möglichkeiten auszubeuten.

Natürlich liegt es auch nicht im Interesse dieser Schlepper, den Flüchtenden wirklich zu helfen. Sie schaffen sie möglichst schnell über die Grenzen und laden sie bei der nächstbesten Möglichkeit mittellos in der Fremde ab. So musste Familie Bernadett zunächst in der Türkei wochenlang in einem Keller mit Ratten und Mäusen leben. Als »Illegale« fanden sie natürlich keine menschenwürdige Arbeit und wurden nach Belieben ausgebeutet. Das damals sechsjährige Mädchen erlebte das ganz direkt:

Ich darf nicht mehr in die Welt, das ist verboten, weil wir Christen sind, deswegen müssen wir in dem Keller leben.

Dort zu bleiben: Keine Option. Die weitere Flucht verlief nicht weniger bedrückend. Nachdem der Vater beim ersten Versuch, von der Türkei nach Griechenland zu kommen, in die Hände der Polizei fiel.

Er war voller Blut, wir haben ihn gar nicht erkannt.

gelang es ihnen nach acht Monaten schließlich doch, Griechenland zu errreichen. Aber aus der Erfahrung anderer christlicher Flüchtlinge war klar: Die griechischen Behörden würde kein Asyl für Flüchtlinge wie sie bieten.

Wer erwischt wird, wird direkt wieder in den Irak zurückgeschickt.

Immerhin gab es in Griechenland so viel Arbeit, um weitere Schlepper zu bezahlen. Es ist bedrückend zu hören, wie dieser Familie erzählt wird, in Deutschland gäbe es Sozialleistungen, und sie ihre Hoffnungen darauf setzt, durch Kindergeld genug Geld zusammen zu bekommen, die ganze Familie in Sicherheit zu bringen. Immerhin: Es gelingt schließlich und heute ist die Familie bei uns und fühlt sich in ihrer neuen Heimat gut aufgenommen.

Neiddebatten können nur auf fruchtbaren Boden fallen, wenn wir uns der Realität dieser Menschen verschließen, wenn wir nicht zuhören, nicht miteinander reden. Die CSU hat Anfang des Jahres eine solche Neiddebatte angezettelt. Folge davon waren hohe Stimmanteile für rechtspopulistische Parteien bei der Europawahl und bei den letzten Landtagswahlen. Wir Piraten dagegen setzen auf Dialog und gegenseitiges Verständnis. Wir sind die Partei der Vielfalt. Dieses Interview ist ein Baustein dazu.

Hört man es, kann man sich angesichts der aktuellen Berichte zu den Ereignissen in nordrhein-westfälischen Flüchtlingsunterkünften nur noch mehr schämen. Bezeichnend, dass dies im Verantwortungsbereich desselben Innenministers geschieht, der erst jüngst dadurch auffiel, dass er übermäßig harte Polizeieinsätze in nordrhein-westfälischen Stadien befürwortete. Herr Jäger, können Sie eigentlich noch in den Spiegel schauen?


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