Ein Gastartikel von Thomas Köhler
Dass der BND die sozialen Netzwerke in Echtzeit überwachen will, ist nicht der feuchte Traum von Geheimdienstmitarbeitern, die Anhänger von US-amerikanischen Krimi-Serien sind. Natürlich wird dort diese Nutzung glorifiziert und als unabdingbar für den Kampf gegen den Terror dargestellt. So kann ein Verdächtiger mittels Gesichtserkennung in Echtzeit in den sozialen Netzwerken gesucht werden – und er wird tatsächlich auf mehreren Bildern gefunden. Was in diesen Serien selbstverständlich nicht gezeigt wird, ist, dass selbst wenn die Technik funktioniert, ein solcher Fahndungserfolg die Ausnahme sein wird. Schließlich sehen auch Terroristen und Kriminelle solche „Lehrfilme“.
Die Begründung des BND erscheint unzureichend. Die Forderung nach Aufrüstung, weil die anderen weiter sind und wir zurückfallen, ist eine übliche politische Begründung. Sie wurde bereits für die atomare Aufrüstung und andere Rüstungsanstrengungen verwendet. Diesmal muss aber nicht wegen eines Gegners, sondern wegen des höheren Rüstungsgrades der Verbündeten aufgerüstet werden.
Gehen wir davon aus es liege nicht nur an dieser Begründung, dass sich der Auslandsgeheimdienst der Bundesrepublik Deutschland das Instrument der Echtzeitüberwachung der sozialen Netzwerke wünscht.
Der Begriff „Auslandsgeheimdienst“ könnte hier der Schlüsselbegriff sein. Der §1 Absatz 2 des Gesetzes über den Bundesnachrichtendienst (BNDG) lautet:
„(2) Der Bundesnachrichtendienst sammelt zur Gewinnung von Erkenntnissen über das Ausland, die von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland sind, die erforderlichen Informationen und wertet sie aus. Werden dafür im Geltungsbereich dieses Gesetzes Informationen einschließlich personenbezogener Daten erhoben, so richtet sich ihre Erhebung, Verarbeitung und Nutzung nach den §§ 2 bis 6 und 8 bis 11.“
Dieser Absatz schränkt eindeutig die Tätigkeit des BND ein. Der BND sammelt Informationen über das Ausland, nicht über uns Inländer. Stellen wir folgende These auf: Wer die sozialen Netzwerke in Echtzeit überwacht, der überwacht das Internet in erheblichem Umfang, im globalen Maßstab.
Mehrere Tatsachen sprechen für diese These. Webseiten, Blogs und ähnliche Publikationen sind Medien, die mit Zeitverzögerungen aktualisiert werden. E-Mails können verschlüsselt werden, was das Lesen erschwert. Es bleiben also die sozialen Netzwerke. In diesen wird in Echtzeit kommuniziert. Sie laufen unverschlüsselt und die Standorte und Bewegungen der Nutzer sind durch die vermehrte Nutzung der mobilen Geräte feststellbar. Selbst der Bundesinnenminister hat festgestellt, dass die Nutzung der sozialen Netzwerke zunehmend die Nutzung von E-Mails, SMS und Telefon verdrängt. Sie lassen sich leicht überwachen, da der Zugang frei und das Lesen fast uneingeschränkt möglich ist.
Den Auslandsgeheimdienst interessiert aber gewiss noch etwas anderes. Bei der Arbeit im Rahmen des geltenden Rechts ist das Abfangen von E-Mails und Post sowie das Abhören von Telefonaten nur möglich, wenn die Bedingungen des §1 Absatz 2 BNDG, hauptsächlich der Auslandsbezug, erfüllt sind. Gehen wir ruhig davon aus, dass der BND im Rahmen des geltenden Rechts agiert. Zumal, laut Frankfurter Rundschau, Sicherheitskreise behaupten:
«Es geht mitnichten um die Kommunikation der deutschen Bevölkerung.» Vielmehr gehe es um Kommunikation von Ausländern im Ausland, die für die Sicherheit Deutschlands relevant sei. Ziel sei beispielsweise, einen zweiten arabischen Frühling oder andere bedeutsame Entwicklungen rechtzeitig zu erkennen.
Das kann man bezweifeln, denn für die sozialen Netzwerke gilt das nicht. Dort sind wir „staatenlos“ bis der Geheimdienst vom Betreiber des Netzwerkes unsere Daten abfordert. Staatenlos sind wir dort, weil wir uns international bewegen und unsere Identität verschleiern, was eine eindeutige Identifizierung und Feststellung der Staatszugehörigkeit erschwert. Somit ist es nicht gegen den Buchstaben des §1 Absatz 2 BNDG, wenn der Auslandsgeheimdienst uns überwacht, unsere Beiträge liest, unsere Bilder anschaut und speichert und unsere Kontakte registriert.
Die gewonnenen Erkenntnisse sind dabei, abgesehen von einem Stimmungsbild der Netzgemeinschaft, eher von geringer außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland. Aber der §9 Absatz 1 BNDG mit dem Passus „…wenn der Empfänger die Daten für Zwecke der öffentlichen Sicherheit benötigt“ berechtigt bzw. zwingt den BND geradezu, diese gewonnenen Erkenntnisse an Inlandsdienste wie das BfV oder auch an Polizeidienststellen und die Justizorgane weiterzugeben.
Diese Inlandsorgane werden den Antrag auf Überwachung der sozialen Netzwerke nicht stellen. Es erzeugt ein schlechtes Image, das eigene Volk überwachen zu wollen. Wenn der Auslandsgeheimdienst zufällig Erkenntnisse über das Inland erhält, dann ist das eine andere Sache.
Der Auslandsgeheimdienst BND wird mit dieser Ermächtigung zum Datensammler für die inländischen Sicherheitsorgane, fast ohne den Buchstaben der entsprechenden Gesetze zu verletzen.
Der BND dringt mit der Forderung nach Echtzeit-Überwachung der sozialen Netzwerke tief ins Merkelsche „Neuland“, in den „rechtsfreien Raum“ des Internets ein. Unterstützt wird er von Politikern, die von uns fordern, dass wir die analogen Gesetze in die digitale Welt übernehmen. Wehret den Anfängen.