TTIP – Monokultur statt kultureller Vielfalt

CC-BY Tobias M. Eckrich

Beitrag von Bruno Kramm erschienen auf der Bundes-Website.

Bruno Kramm, Vorsitzender des Landesverbandes Berlin der Piratenpartei und Themenbeauftragter der Piraten auf Bundesebene für Urheberrecht und für TTIP, erklärt die in der Öffentlichkeit weniger prominenten Auswirkungen des »Freihandelsabkommens« auf die Kulturschaffenden.

Eines der zugkräftigsten Argumente gegen das »Freihandelsabkommen« TTIP ist die Intransparenz bein den Verhandlungen. Kleine Künstler- und Medienverbände, NGOs oder kritische Netzpolitiker bleiben außen vor. Außer den US-amerikanischen und europäischen TTIP-Delegationen selbst erhalten einzig Lobbyisten großer Konzerne Einblick in die Vertragsentwürfe – und damit natürlich auch Einfluss auf den Fortgang der Verhandlungen. Eine Beteiligung an den Verhandlungen ist für die Zivilgesellschaft natürlich überhaupt nicht möglich. Und so verdanken wir alles, was wir bisher über TTIP wissen, einigen wenigen EU-Beamten mit Rückgrat, die hinter vorgehaltener Hand Details aus den Verhandlungen geleakt haben. Dank ihnen wissen wir: Völkerrechtlich bindend zementiert TTIP den globalen Handel als Exklusivrecht transnationaler Konzerne – auch für die nächsten Generationen. Die Macht des Stärkeren trieft aus jeder geleakten Zeile des Abkommens.

Warum diese »Gänsefüßchen«?
Mit »Freihandel« und »Schiedsgericht« werden positiv klingende Begriffe für TTIP vereinnahmt. Damit wird schon auf der sprachlichen Ebene geschickt davon abgelenkt, dass TTIP undemokratisch entsteht und, einmal in Kraft, rechtsstaatliche Abläufe aushebelt. Das ist kein »Freihandel«, sondern ein Freibrief für international agierende Konzerne. Das sind keine »Schiedsgerichte«, sondern Geheimgerichte. Die »Gänsefüßchen« sollen uns darauf aufmerksam machen, wie wir hier mit Sprache manipuliert werden.
– Red.

Der Brückenschlag der Völker über das Internet und die Demokratisierung von Produktions- und Vertriebswegen findet in TTIP keine Beachtung. Ganz im Gegenteil: Mit dem trojanischen Pferd des Investorenschutzes (ISDS – Investor-State Dispute Settlement) haben sich global agierende Konzerne ein Klagerecht verschafft, das der Enteignung demokratischer Grundrechte gleichkommt. Sobald Geschäftsmodelle mit nationalen Rahmenbedingungen kollidieren, können sie als »Diskriminierung« vor einem intransparent tagenden Schiedsgericht geltend gemacht werden. Häufig mit Aussicht auf hohe Millionenforderungen gegenüber dem verklagten Staat – und ohne Berufungsmöglichkeit vor ordentlichen und demokratisch legitimierten Gerichten.

Doch inwiefern betrifft das uns, die Künstler und freischaffenden Vermarkter einer alternativen Kulturszene? Das, was Vattenfall von der deutschen Regierung wegen dem Ausstieg aus der Atomkraft mittels Investorenschutz heute fordert, kann auch jederzeit von Hollywood-Studios gegenüber der regionalen, nationalen oder europäischen Filmförderung eingeklagt werden. Diese Art der Subvention gilt im globalen Maßstab des Freihandels als Diskriminierung.

Die Buchpreisbindung oder eine zu laxe Durchsetzung von Urheberrechten gegenüber Nutzern von Tauschbörsen sind zwei Seiten einer Medaille: Transnationale Konzerne diktieren zunehmend unsere gesellschaftlichen Normen und damit auch die Art und Weise, wie wir kulturelle Schöpfungen in Zukunft konsumieren, produzieren und teilen. Den großen Verlagshäusern schon länger ein Gräuel, könnten Commons und der Transkapitalismus eine neue Ära kollaborativer Kultur einläuten und Impulse für gesellschaftliche Alternativen freisetzen.

Die »Regulatory Coherence« des Freihandelsabkommens schafft hier Abhilfe und unterbindet die dezentrale, demokratische Willensbildung schon im Keim. Nationale Gesetzesdiktate wie das vom Springer-Konzern in den Koalitionsvertrag eingebrachte Leistungsschutzrecht lassen sich mittels Freihandelsabkommen leicht über Grenzen hinweg skalieren. Die Voraussetzungen hierfür sind in der EU mit den »delegierten Rechtsakten« und in den USA mit dem »Fast Track« bereits geschaffen.

Statt einer zukunftsweisenden Reform der Urheberrechte schafft die EU durch TTIP ungewollte Realitäten für die Durchsetzung von Verwertungs- und Leistungsschutzrechten über Landesgrenzen hinweg. Das bedroht nicht nur den barrierefreien Konsum von Kulturschöpfungen, sondern auch die Urheber von multimedialen und kollaborativ entstandenen Werken. Diese scheitern schon heute oft an den Hürden der Lizenzierungs-Zwänge, sofern sie nicht von einem internationalen Verlag vertreten werden. Und nun droht TTIP mit strafrechtlicher Durchsetzung von bisher zivilrechtlich geahndeten Urheberrechtsverstößen.

Nach heftigem Protest aus der Bevölkerung in Deutschland und in ganz Europa, und nach den Beteuerungen der Regierungsparteien, hatten viele gehofft, TTIP wäre politisch kaum mehr durchzusetzen. Leider haben sie sich getäuscht. Gestern einigten sich die Staats- und Regierungschefs der G20-Staaten, TTIP zu forcieren. Für die Zivilgesellschaft bedeutet das wohl, dass nun auch die Proteste forciert werden müssen.
– Red.

Doch bleiben wir bei den Gefahren für Urheber durch die »Schiedsgerichts«-Verfahren (ISDS): Geschlossene Infrastrukturen im Netz und die zunehmende App-Monokultur durch eingehegte Systemplattformen von Apple, Google oder Amazon bedrohen bereits jetzt den freien Zugang für kleine, alternative Künstler. Die in TTIP geplante Abkehr von der Netzneutralität kann das Aus für kleine Marktteilnehmer wie selbstvermarktende Urheber bedeuten. Wenn transnationale Verlagsriesen gemeinsam mit Infrastruktur-Anbietern Inhalte an dezidierte Netze und Infrastrukturen binden, bleiben für die kleinen Anbieter nur noch digitale Fußwege statt der Datenautobahn übrig. Das betrifft dann im besonderen jene wachsende Zahl von selbst vermarktenden Urhebern zwischen Filmemacher und Musikproduzent. In den USA ist es längst soweit. Konzerne wie Warner Cable stellen den Netzzugang und die Inhalte bereit und bestimmen die Priorität für das jeweilige Datenpaket. Wer sich außerhalb des Monopolisten im Netz umschaut, wundert sich über die digitale Sanduhr der 90er. Nebeneffekt dieser Strategie: Die Verlagsoligopole werden so auch schnell die ungeliebte Konkurrenz eines alternativen Musik- und Medienangebots los. Bisher steht man in Deutschland noch zur Netzneutralität. Doch die könnte durch eine ISDS-Klage großer Verlagskonzerne schnell fallen. Grund: Die Netzneutralität diskriminiert ihre Angebote.

Wer übrigens glaubt, mit dem Sturz von TTIP fiele auch die Möglichkeit für Klagen vor »Schiedsgerichten«, der irrt: Große Konzerne könnten das genauso über ihre kanadischen Tochterunternehmen erledigen, denn CETA ist bereits ratifiziert und wartet nur noch auf seine Freischaltung durch die Parlamente der europäischen Staaten.


Kommentare

6 Kommentare zu TTIP – Monokultur statt kultureller Vielfalt

  1. zykez schrieb am

    Die Filmförderungen sollen ja gekürzt werden, was sagt er dazu?
    Die US-Filmindustrie wird die Filmförderungen nicht angreifen, da sie sie selbst schon nutzen. Der neue Panem-Film bekommt für Babelsbergsaufnahmen an die 4mio.
    Die Buchpreisbindung ist ein Werk der Verlage und nicht der Autoren, Self-Publisher unterminieren das schon über Amazon&Co.^^

    Also, was denn nun? Stärkung der Urheber oder der Nutzer, beides geht ja nicht.^^
    Der Rest ist nur Anti-TTIP-Blablaa und billige Angstschürerei.

    • Dirk schrieb am

      > Stärkung der Urheber oder der Nutzer, beides geht ja nicht.^^
      Na selbstverständlich geht beides.
      z.B. für die Urheber: keine GEMA-Vermutung, freie Vertragsgestaltung, Verbot von Blockade-Verträgen, grundsätzliche Freiheit über andere Kanäle zu publizieren,…
      z.B. für die Nutzer: Recht auf nichtkommerziellen Remix, keine GEMA-Vermutung, kein Verbot des DRM-Knackens,…
      Experten könnten diese Listen nach intensivem Studium unserer Programme sicher noch erweitern.
      Widerspricht sich überhaupt nicht.

      > Der Rest
      Die Verhandlungsführer TTIP hätten das mit den Ängsten in der Hand: Öffentlicher Prozess, publizierte Entwürfe, gestreamte Verhandlungsrunden: Alles Fehlanzeige. Also muss man leider Analogieschlüsse aus anderen – genauso schlimmen – “Freihandelsabkommen” ziehen. Und wenn man da hin schaut, dann kann einem schon angst und bange werden. Aber wir werden sehen: ACTA hat es damals auch weggefegt, hoffen wir, dass das bei TTIP wieder gelingt. Weil es noch viel tiefer in alle Lebensbereiche eingreift, sollte das eigentlich kein Problem sein…

    • Dirk schrieb am

      > Der Rest ist nur Anti-TTIP-Blablaa und billige Angstschürerei.
      Leider war ich mit dem Lesen hinterher, sonst hätte ich Dich zum Thema “Angstschürerei” gleich mal mit dieser Studie konfrontieren können: Capaldo geht ziemlich hart mit den vorhandenen Jubelpapieren um und errechnet aus den vorliegenden Informationen Erstaunliches. Lesenswert. Aber du hast natürlich völlig Rest: Neben den Millionen Jobs, die alleine hierzulande durch den von der Bundesregierung nicht gestalteten Digitalen Wandel verloren gehen werden, sind die 600.000 Jobs, die durch TTIP verloren gehen, wirklich Peanuts.

  2. Anonym schrieb am

    Die »Gänsefüßchen« sollen uns darauf aufmerksam machen, wie wir hier mit Sprache manipuliert werden.

    Wenn wir mit Sprache manipuliert werden, dann manipulieren wir zurück!!!

    “Freihandelsabkommen” = Freiverschandelsabkommen

    “Schiedsgericht” = Schattengericht

    Ich schlage vor, diese Begriffe ab jetzt in jedem Bericht über TTIP konsequent zu verwenden, damit die Leser auch die wahre Bedeutung dieser Ungeheuer zu sehen bekommen!

    (Anfangs vielleicht mit einer kleinen Fußnote, damit es keine Missverständnisse gibt, aber ihr seht, worauf ich hinaus will: Kämpft mit Worten!)

    • Dirk schrieb am

      Der Wettbewerb für gute Wörter ist eingeläutet. Da das auch für Demoplakate und Aufklebersprüche hilfreich wäre: Bitte Vorschläge als Kommentar.

  3. Hochrheinpirat schrieb am

    DMCA-Verfahren – nichts aus Fehlern gelernt?

    Wenn ich aus den geleakten TPP-Entwürfen Rückschlüsse auf TTIP ziehen kann, wird das bekannte DMCA-Verfahren beibehalten, also nicht aus Fehlern gelernt. Weiterhin muss jeder File-, Image-, Linklisten- oder sonstiger Hostinganbieter weiter Hilfssheriff spielen müssen. Da kein Provider die grosse Menge manuell verarbeiten kann (bei Google z.B. treffen täglich über 1 Mio Löschanfragen ein), werden die Löschanfragen alle automatisch verarbeitet. Es kann also DMCA missbräuchlich z.B. für Erpressung, Zensur, Ausschalten von Konkurrenten etc. benutzt werden! Ich persönlich hatte schon einen Erpressungsfall. Da die Täterbanden aus Gebieten operieren, wo Warlords herrschen, gehen bei der Polizei gestellte Anzeigen ins Leere. Nicht einmal digital signiert muss eine Copyright-Verstoss-Meldung sein, wenn das keine Einladung zum Missbrauch ist…

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