Piratenpartei als Partei des digitalen Wandels

CC-BY-SA Flaschenpost "Commons iOS app beta on various devices" CC-BY-SA 3.0 by Brion VIBBER "Old computers" CC-BY-SA 2.0 by Eurleif "Analytical Machine Babbage London" CC-BY-SA 2.5 by Bruno Barral (ByB)

Der Artikel von Boris Turovskiy ist in Zusammenarbeit mit Stefan Dirnstorfer entstanden. Ein besonderer Dank gilt außerdem Ron und Thomas Mayer für ihre konstruktive Mithilfe. Erschienen ist der Artikel bei der Flaschenpost.

CC-BY-SA Flaschenpost

Der digitale Wandel ist in vollem Gange und er hat nicht vor, abzubremsen. Die Generation, die heute aufwächst, kann sich gar nicht mehr vorstellen, wie die Welt ohne die Bequemlichkeiten von Computern und Handys aussah. Trotz der überwiegend positiven Bilanz reagieren viele alteingesessene Parteien auf den fortschreitenden digitalen Wandel mit ihrem üblichen Kanon: verbieten, aussitzen, ignorieren. Dabei wird entweder versucht, mithilfe restriktiver Gesetzgebung den Status Quo zu erhalten, oder man bildet sich ein, dass die Veränderung plötzlich anhalten oder sich gar umdrehen würde. Die Folgen dieser ängstlichen Politik berühren immer mehr gesellschaftliche Bereiche und Menschen auch weit abseits der IT-affinen Gruppen.

Für die Piratenpartei bietet sich dadurch die Chance, als einzige politische Kraft die positiven Seiten des digitalen Wandels in den Vordergrund zu stellen. Dieser Artikel beleuchtet einige konkrete Bereiche und benennt die Mängel der aktuellen Politik sowie daraus ableitbare Forderungen, die die Piratenpartei für sich nutzen sollte.

Arbeit im Digitalen Wandel

Seit Jahren sinken die Hürden zur Teilnahme an geschäftlichen Tätigkeiten. Mit wenigen Klicks kann jeder zum Selbstständigen werden. Freelance-Portale und neu entstehende Modelle wie das Crowdsourcing lassen die Trennung zwischen Privatperson, Konsument, Investor und Gewerbetreibendem verwischen. Dieser Wandel weitet sich stetig aus: Onlinehandel, Mitfahrdienste, Zimmervermietung, “Microworking”. Es schlägt die Stunde der Amateure. Das politische und gesellschaftliche Ideal des in Vollzeit tätigen und damit abhängig Beschäftigten ist nicht mehr zeitgemäß. Das existierende Sozialsystem lässt sich nur bedingt auf die entstandenen neuen Formen der Selbstständigkeit anwenden und muss grundlegend reformiert werden.

Daraus können sich unter anderem folgende Forderungen ergeben:

  • Einführung eines Grundeinkommens für jeden Bürger. Das erspart unnötige Datensammlung, Überwachung und Drangsalierung der Bürger. Gleichzeitig wird dadurch ein für den neuen Arbeitsmarkt geeignetes System der sozialen Absicherung geschaffen.
  • Vereinheitlichung des Steuersatzes (“Flat-Tax”). Dies vereinfacht die Steuerformalitäten und fördert Datensparsamkeit. Gleichzeitig können dadurch Schlupflöcher geschlossen werden, die vielen Großverdienern massiv reduzierte Steuersätze bis hin zur Steuerfreiheit ermöglichen.
  • Übertragung der privaten Vorsorge und Studienfinanzierung an eine staatlich geführte Bank. Die Einbindung profitorientierter Finanzdienstleister, die momentan durch Modelle wie Riester, Rürup oder Bahr stattfindet, ist eine verdeckte Subvention an die Versicherungswirtschaft und gehört abgeschafft.
  • Bürokratieabbau, die Absenkung der Hürden zur Gewerbeaufnahme und Lockerung der Regelungen zur Scheinselbständigkeit, die den neuen Formen der Erwerbsarbeit nicht gerecht werden.

Bildung im Digitalen Wandel

Auf dem heutigen Arbeitsmarkt entstehen in zunehmendem Tempo neue Qualifikationen und Berufe. Manche Berufszweige, wie Webdesigner, SEO oder SMO, sind erst durch die Verbreitung des Internets möglich geworden. Andere Bereiche ändern sich rapide und verlangen eine ständige Weiterbildung der Beschäftigten. Dieser Trend wird anhalten. Berufliche Qualifikation muss permanent aus digitalen Quellen neu erlernt werden. Zudem ist für die eigenen beruflichen Chancen mittlerweile das Social-Media-Profil und der Netzauftritt oft schon wichtiger als formelle Abschlüsse und Nachweise.

Aus diesen Umständen können sich folgende Bildungsziele ergeben:

  • Der Umgang mit Maschinen, in erster Linie die Fähigkeit, Maschinen algorithmisch anzuweisen, bestimmte Tätgkeiten automatisiert zu übernehmen.
  • Grundtechniken im Umgang mit dem Computer: Social-Media Kompetenz, Fähigkeit zur Gestaltung der eigenen Medien- und Webpräsenz sowie der Umgang mit verteilten Informationen im Internet.
  • Anerkennung von Computerspielen als Kulturtechnik und Medium für soziales Training, Reaktion und Aufmerksamkeit.

Kultur im Digitalen Wandel

Durch sinkende Kosten für Produktion und Eigenwerbung beteiligen sich immer mehr Kreative an der Gestaltung der kulturellen Landschaft. Die Monopolposition großer Vermittler erodiert, da viele Künstler die neuen Möglichkeiten zur direkten Vermarktung eigener Werke nutzen. Alte Vertriebswege sind aufgrund der einfachen Kopier- und Verbreitungsmöglichkeiten in vielen Fällen nicht mehr durchsetzbar.

Folgende Forderungen lassen sich daraus ableiten:

  • Abschaffung von Hürden, die innovative Vertriebskanäle und Preisstrategien für Kreative behindern (z.B. Buchpreisbindung, Sonderstellung von Verwertungsgesellschaften).
  • Grundlegende Reform des Urheberrechts und verwandter Rechtsgebiete im Immaterialgüterrecht.
  • Ausbau eines zuverlässigen und schnellen Netzzugangs. Dieser gehört zur elementaren Infrastruktur zur gesellschaftlichen und kulturellen Teilhabe.

Rechtsstaat im Digitalen Wandel

Schon heute läuft die technische Entwicklung der Politik davon. Gesetze werden eingeführt, ohne deren Folgen abschätzen zu können (Zugangserschwerungsgesetz, “Recht auf Vergessen”), oder auf Druck bestimmter Lobbygruppen (Leistungsschutzrecht). In anderen Bereichen, wie dem Urheberrecht, sind die Entscheidungsmechanismen der Politik im Vergleich zur Geschwindigkeit des technischen Wandels schlicht zu langsam und alltägliche Aktionen landen in juristischen Grauzonen. So können mit wenigen Klicks angebliche “Millionenschäden” ausgelöst werden. Ein effektiver Schutz der Bürger, die in gutem Glauben im Internet aktiv sind, ist derzeit nicht gegeben. Bürger müssen vor Abmahnanwälten und anderen skrupellosen Profiteuren der unübersichtlichen Rechtslage geschützt werden. Gleichzeitig muss gewährleistet werden, dass der Staat die neu entstehenden Möglichkeiten nicht dazu missbraucht, um Überwachungs- und Zensurmechanismen auszubauen und die Bürgerrechte auszuhöhlen.

Folgende Forderungen können sich, neben zahlreichen anderen, daraus ergeben:

  • Komplette Abschaffung aller Mechanismen zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung.
  • Recht auf Anonymität für Whistleblower und umfassender Rechtsschutz im Falle ihrer Identifikation.
  • Legalisierung der Umgehung von Kopierschutz und DRM, soweit die daraus resultierende Nutzung dem Gesetz entspricht, z.B. zur Anfertigung von Privatkopien, Weiternutzung nach Ausfall des DRM Servers oder bei willkürlichen Nutzungseinschränkungen (Ländercode).
  • Meldepflicht bei der Entdeckung von sicherheitsrelevanten Softwarefehlern (“0-day Exploits”).
  • Verbot derjeniger Spionagepraktiken des BND, die den Verlust der Privatspäre aller Bürger als Kollateralschaden in Kauf nehmen.
  • Ein grundsätzliches “Recht auf Erinnern” im Netz. Was einmal legal im Internet war, muss auch weiterhin der Öffentlichkeit zugänglich bleiben dürfen. Privatunternehmen wie Google oder einzelne Webseitenbetreiber dürfen keine Schattenjustiz zu Fragen der Privatsphäre aufbauen.

Selbstverständlich ist diese Liste unvollständig, aber sie zeigt, wie breit die Auswahl an Themen ist, die sich aus der digitalen Kernausrichtung der Piratenpartei ergeben können. Viele der dargelegten Forderungen sind bereits im Programm der Piraten enthalten. Andere sind bisher nicht thematisiert worden, auch wenn sich viele Piraten mit Sicherheit damit identifizieren können. Da unser Parteiprogramm stetig weiterentwickelt wird ist absehbar, dass das Profil der Piratenpartei als Partei des digitalen Wandels sowohl auf der Grundsatz- als auf der Forderungsebene weiter geschärft wird.


Kommentare

2 Kommentare zu Piratenpartei als Partei des digitalen Wandels

  1. Rüdiger schrieb am

    Der Artikel ist sehr vielseitig! Viele Punkte sollten wirklich auch umgesetzt werden. Die Technik an sich ist wohl das größte Risiko, denn wir wissen nicht, was staatliche “Datenmagnete” mit unseren Daten anrichten oder noch anrichten werden. Ich vermisse auch Europäische eigene Computer-Systeme. Besonders Wichtig ist, dass der Mensch auch noch ein lebenswertes Leben führen kann, wenn er diese Technik für sich ablehnt. Das Bedingungslose Grundeinkommen müsste dringend mal an Teilen der Bevölkerung oder Regional auf unterschiedliche Weise erprobt werden! Wenn ich hingegen die Ökonomische Verschwendung an allen Ecken und Enden in unserer Gesellschaft beobachte, dann sehe ich noch sehr viel Potenzial per Computer-Logistik und Optimierung einiges zu verbessern. Machbar ist fast alles, doch das Optimale kann nur gefunden und eine Chance haben, wenn viel gleichzeitig erprobt wird. Ideenwettbewerbe könnten grundsätzlich ebenfalls sehr förderlich sein.

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