“Wir sind keine Engel” – Über den Pflegekräftemangel in Deutschland

Flashmob "Pflege am Boden", Berlin, 2014 | Bild: CC-BY-NC-ND 2.0 Sozialfotografie

Ein Gastbeitrag von @nanunana249 erschienen Bundes-Website.

Seit dem ich in der Pflege arbeite und das sind jetzt schon einige Jahre, habe ich bereits unzählige Male gehört “Ihr müsst ja Engel sein” oder “da muss man für berufen sein”.

Ich gebe zu, anfangs hat mir das geschmeichelt. Inzwischen macht es mich wütend. Es macht mich wütend, weil Pflegenden dadurch der Eindruck vermittelt wird, dass sie ihren Job ja anscheinend aus einer höheren Überzeugung machen und nicht um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Und viel zu viele fallen noch immer darauf herein, genauso wie ich am Anfang.

Wohin uns das führt sehen wir am Pflegekräftemangel in Deutschland. Die Pflegenden verbrennen sich. Springen immer wieder für ihre Kollegen ein falls jemand krank wird, weil man ja die Kollegen nicht hängen lassen will. Wir machen Überstunden ohne Ende, die wir in den seltensten Fällen abfeiern können. Klar, wir könnten uns die Stunden ausbezahlen lassen. 12€ brutto sind uns im letzten Jahr dafür angeboten worden. Um es hier mal zu betonen: 12€ brutto um die Überstunden einer gelernten Fachgesundheits- und Krankenpflegerin für Intensivmedizin und Anästhesie zu bezahlen. Einer Fachkraft, die täglich Verantwortung für Menschenleben übernimmt. Einer Fachkraft, die sich besser als so mancher Arzt mit Notfallmedizin auskennt. Die täglich die unterschiedlichsten Geräte bedienen und unzählige Medikamentennamen inklusive Nebenwirkungen parat haben muss. Wenn man das so hört, kann man auf die Idee kommen, dass wir vielleicht doch Engel sind, dass wir unter solchen Umständen immer wieder einspringen, wenn es irgendwo eng wird.

Mehr als “nur” Händchen halten

Die PIRATEN sprechen sich für klare und eindeutige Regeln zum Personaleinsatz in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen der Langzeitversorgung aus. Es sind durch Fachgremien anhand empirisch festgestellter Fakten Zahlenschlüssel festzulegen, nach denen die maximale Anzahl von Patient pro dreijährig examinierter Pflegekraft definiert ist. […] In Abteilungen mit besonderen Belastungen, wie zum Beispiel Intensivstationen, sind Sonderschlüssel anzuwenden, die wie im Fall der Intensivmedizin bereits durch die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) definiert wurden. […]

Hört man sich bei Pflegenden um, wird viel geklagt. Pflegende beschweren sich, dass keine Zeit mehr bleibt um mit den Patienten zu reden, ihre Hand zu halten in schwierigen Situationen. Man sieht sie dann mitleidig an und sagt “oh ja..das ist schade”. Aber, dass zu wenig Zeit ist sich mit den Patienten zu unterhalten, sie zu trösten, ihre Hand zu halten und all das, ist zumindest gesundheitlich gesehen ein kleines Übel im Vergleich zu dem was sonst noch so auf der Strecke bleibt.

Wo hoher Zeitdruck besteht werden Fehler gemacht. Bei der Medikamentenverabreichung wird etwas verwechselt, die Desinfektion der Hände wird vergessen, weil nebenan die Kollegin ruft, der Verband wird “mal eben” gewechselt, in das Isolierungszimmer geht man ohne Mundschutz und Handschuhe, weil ja nur mal eben kurz die Infusion getauscht werden muss. Für Pflegende und Patienten eine Katastrophe.

Aber warum sagen Pflegende das nicht, wenn sie sich über zu wenig Zeit beklagen? Sind sie doch Engel, dass es ihnen anscheinend wichtiger ist, die Hand des Patienten zu halten?

Nein!

Sie haben schlicht und einfach Angst um ihren Job und davor, Ärger zu bekommen. Was passiert, wenn man sich zu öffentlich beschweren sieht man ja an den 11 Pflegekräften aus dem Dorstener Pflegeheim, die gekündigt wurden. Von Whistleblowerschutz haben die wenigsten bis jetzt etwas gehört. Spricht man Pflegende persönlich an und fragt sie nach ihrem Beruf, hört man von fast allen, dass sie ihren Job eigentlich gerne machen, die Bedingungen aber eine Katastrophe sind.

Erst heute habe ich auf Twitter gelesen, dass in einem Krankenhaus das Weihnachtsgeld kurzerhand gestrichen wurde. Das habe ich vor einigen Jahren auch schon mal erlebt in einem katholischen Haus. Als wir uns darüber beschwert haben wurde uns geantwortet, “dass wir doch froh sein könnten, zu Weihnachten den christlichen Dienst der Nächstenliebe zu tun”.

Keine Engel

Na vielen Dank auch. Damit wären wir wieder beim Thema Engel. Nein. Pflegende sind keine Engel. Es sind Menschen die ihren Job machen. Die versuchen, ihren Job unter den Voraussetzungen die sie haben noch so gut es geht zu machen. Die ausbrennen, weil sie irgendwann nicht mehr können. Körperlich und psychisch. Es wird Zeit, dass wir aufhören, Pflegenden Honig um den Mund zu schmieren, denn immer noch fallen zu viele darauf herein. Stattdessen müssen wir ihnen Mut geben, sich für Ihren Beruf einzusetzen. Ihnen Mut geben den Mund auf zu machen, aktiv zu werden. Für bessere Arbeitsbedingungen und mehr Gehalt.

Und liebe Pflegende: “Woanders ist es auch nicht besser”, ist kein Argument dafür sich alles gefallen zu lassen. Wir müssen schon dafür sorgen, dass es besser wird. Das es besser geht zeigt uns das europäische Ausland. Das passiert aber nicht von alleine und erst recht nicht, wenn wir uns noch immer mit dem Wörtchen “Engel” abspeisen lassen.

Wir alle müssen uns fragen: Was ist uns die professionelle Pflege in diesem Land eigentlich wert?

@nanunana249 ist Intensivfachkrankenschwester und bloggt unter nanunana249.wordpress.com.

Wenn Du bei diesem Thema mitarbeiten möchtest, kannst Du uns in einer Sitzung der AG Gesundheitspolitik besuchen – egal ob Du Pirat bist oder nicht. Die Sitzungen finden an jedem 1. und 3. Donnerstag im Monat um 20 Uhr im Mumble NRW im Raum Gesundheitspiraten statt. Bitte informiere Dich auf der Homepage der AG über die Details.


Kommentare

Ein Kommentar zu “Wir sind keine Engel” – Über den Pflegekräftemangel in Deutschland

  1. Harry schrieb am

    Ich bin so froh und jeden Fag dankbar, dass ich aus diesem Beruf raus bin. 10 Jahre in der Pflegd habe ich mit einem kaputten Rücken bezahlt – das war aber gleichzeitig das Ticket für die Umschulung zu einem anderen Beruf.

    Ich sehe keine Mögichkeit großartig was zu verbessern. Bei den kirchlichen Arbeitgebern – die im Pflegebereich zu den Großen gehören – haben die Arbeitnehmer noch nichtmal ein Streikrecht. Außerdem ist da noch der hohe Kostendruck. Gespart wird da überall. Auf den (nicht-privaten) Stationen wird teilw. mit 30 – 40 Jahre altem Equipment gearbeitet, die Zimmereinrichtung entspricht dem Stand der 60er Jahre. Die ganze Pflegesituation ist eine einzige Katastrophe.

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