Schluss mit der “Boot ist voll”-Politik

Foto: Wikimedia, Refugees on a boat, Public Domain

Gastbeitrag von David Krcek

Es ist an der Zeit, die europäische, deutsche und bayerische Flüchtlingspolitik neu zu überdenken.

Der Flüchtlingsandrang an Italiens Küsten versinnbildlicht das Scheitern der europäischen Abschottungspolitik: Weder Zäune, noch Mauern, ja nicht einmal das Risiko, mit einem dieser schrottreifen, überfüllten Kutter über das Mittelmeer fahren zu müssen, kann Menschen davon abhalten, vor Bürgerkriegen, Verfolgung, Not und Elend zu flüchten.
Die Politiker Europas müssen dieses Thema endlich als Chance sehen und dürfen Dieses nicht den Rechtspopulisten überlassen. Außenpolitisch ist die derzeitige Flüchtlingspolitik Europas ohnehin ein Desaster.

Schon die Diskussion, ob man in Deutschland und anderen europäischen Staaten nun 10.000 oder 15.000 Menschen aus dem Bürgerkriegsland Syrien aufnimmt, ist peinlich. Wenn man bedenkt, dass Syriens Nachbarstaat Libanon seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs mehr als eine Million Flüchtlinge aufgenommen hat, wirkt Deutschlands Brüsten mit den 10.000 Aufgenommenen geradezu selbstgerecht.
Dem Libanon, einem alles andere als stabilen Staat, der genügend innere Krisen zu bewältigen hat, die Hauptlast der syrischen Flüchtlinge aufzubürden, beschwört eine weitere Destabilisierung der Region, wenn nicht sogar den nächsten Bürgerkrieg und damit neue Flüchtlingsströme herauf.

FRONTEX abschaffen

Die europäische Grenzagentur (sic) FRONTEX ist eine Geldverschwendungsmaschine, deren Wirkung gleich null ist. Amnesty International schätzt die Ausgaben für Zäune und Überwachungsanlagen in den letzten sechs Jahren auf zwei Milliarden Euro.
Dem gegenüber gaben die Staaten der EU 700 Million Euro für Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge aus. Als einziger Mittelmeer-Anrainerstaat hat Italien ein Programm, um in Seenot geratene Flüchtlinge zu suchen und zu retten. Die EU bezuschusst dieses Programm keineswegs. Das hochverschuldete Italien bleibt auf den monatlich neun Millionen Euro sitzen.

Die europäische Politik verschwendet also Milliarden für ein System, das nichts – außer der Schaffung von kriminellen Schlepperbanden – erreicht hat, und entwickelt gleichzeitig keinerlei Prozeduren für den Umgang mit Flüchtlingsströmen.

Der logische Schluss kann nur sein, FRONTEX abzuschaffen und die freigewordenen Gelder in die Entwicklung einer Flüchtlingshilfe stecken, die geeignet wäre, sowohl den Flüchtlingen als auch den Mittelmeer-Anrainerstaaten zu helfen.

Migration steuern

Viele der Flüchtlinge, die in Süd(ost)europa landen, wollen nach Mittel- und Nordeuropa weiterreisen, da dort ihre Chancen auf ein Auskommen höher sind. Die Regelung über “sichere Drittstaaten”, in die man Flüchtlinge zurückschicken kann, treibt sie in die Arme von illegalen Schleppern, um an der ersten Erfassung durch dortige Behörden vorbeizukommen.

Abgesehen davon, dass sie Flüchtlinge in die Illegalität treibt, wälzt die Drittstaatenregelung die Lasten der Migration auf die Ankunftsländer im Süden ab: bequem für Mittel- und Nordeuropa, wenig sinnvoll für Gesamteuropa.
Hier ist eine Änderung des Asylrechts nötig, damit die wirtschaftlich stärkeren Länder Europas gesetzlich mehr verpflichtet sind, ihrerseits mehr Flüchtlinge zu integrieren. Schweden und dessen vorbildliche Flüchtlingspolitik zeigen, dass eine Gesellschaft trotz einer relativ hohen Aufnahmequote von Flüchtlingen keineswegs zusammenbricht.

Den Scharfmachern, Einpeitschern und Volksverhetzern müssen wir alle entschieden entgegen treten. Flüchtlinge sind keine Prügelknaben für das eigene Wahlklientel am Stammtisch, sondern Menschen, die jede Gesellschaft bereichern können, wenn man sie denn lässt.

Integration, Ausbildung, Arbeit

Lange Zeit galt in der bayerischen Flüchtlingspolitik der Grundsatz, alle rechtlich erlaubten Mittel auszuschöpfen, um es den Flüchtlingen so ungemütlich wie möglich zu machen. Das Kalkül war, den “freiwillig” Rückkehrenden Stoff für Negativwerbung in ihren Herkunftsländern mitzugeben.
Mittlerweile hat sich zwar einiges zum Besseren gewendet, doch wenn Ministerpräsident Seehofer in der vergangenen Woche so tut, als ob ihm die Flüchtlingsströme neu wären, ist das Populismus pur. Immerhin ist es seine Staatsregierung, die seit Jahren nach Kräften die Zustände in dem bisher einzigen bayerischen Auffanglager in Zirndorf ignoriert.

Es ist sicherlich wichtig, in allen sieben Bezirken Bayerns zentrale Aufnahmestellen für Flüchtlinge zu schaffen. Warum ist das bisher nicht geschehen?
Zentrale Lager dürfen ohnehin nur für einen sehr kurzen Zeitraum als Bleibe für Flüchtlinge dienen. Das Beharren der bayerischen Staatsregierung beim Thema Auffanglager zeigt leider immer noch den Unwillen, diese Menschen bei uns zu integrieren; wohl aus Angst, sie würden am Ende bleiben wollen.

Um Flüchtlinge menschenwürdig unterzubringen und versorgen zu können, benötigen die Kommunen ausreichend Mittel von der Staatsregierung. Eine dezentrale Unterbringung, wie sie in Coburg angedacht war und von CSU und FDP abgelehnt wurde, ist dabei einer Kasernierung in verfallenen Schulen und Militärgeländen vorzuziehen.

Aktive Flüchtlingspolitik richtet den Blick immer auch in die Zukunft. Wir sollten Möglichkeiten schaffen, den Flüchtlingen für die Zeit, in der sie bei uns Schutz und Asyl genießen, eine Ausbildung zukommen zu lassen. Das schafft Integration, Perspektiven und hilft den Flüchtlingen bei ihrer möglichen Rückkehr, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

Projekte wie AfricaHacktrip oder AfriMakers zeigen, dass Aus- und Fortbildung auch kurzfristig Erfolge haben können. Die hierbei anfallenden Kosten sind im Gegensatz zu FRONTEX sinnvolle Investitionen, die kurzfristig als Integrationshilfe für die Flüchtlinge, mittel- und langfristig Strukturhilfe für die Herkunftsländer zu betrachten sind.

Flüchtlingen, die qualifizierende Abschlüsse vorweisen können, sollten wir die Integration in den Arbeitsmarkt erleichtern; es gilt die Anerkennung von Abschlüssen voranzutreiben, das Arbeitsverbot aufzuheben und somit die unsägliche Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt zu beenden.

Zu den Dingen, die wir Bayern sofort umsetzen müssen, gehört es, die Residenzpflicht der Flüchtlinge zu beenden. Diese Menschen sind Flüchtlinge und keine Gefangenen. Die freie Wahl des Wohnorts ist ein elementares Grundrecht.

Verursacherprinzip einführen

Militärische Konflikte, Bürgerkriege und Unterdrückung von Bevölkerungsgruppen, sowie die damit oft einhergehenden ökonomischen Probleme sind wesentliche Ursachen für Flüchtlingsströme.
Deutschland ist nach den USA und Russland der drittgrößte Waffenexporteur. Damit tragen deutsche Unternehmen unmittelbar einen Teil der Verantwortung für die weltweiten Flüchtlingsströme.

Die Einführung eines Verursacherprinzips, das die Beteiligung an den Kosten für die Bewältigung der durch deutsche Waffen verursachte Schäden regeln würde, ist eine moralische Verpflichtung. Wenn wir es schon zulassen, dass Waffenexporte ein einträgliches Geschäft für deutsche Unternehmen sind, dann sollen diese Unternehmen im Gegenzug Teile ihrer Gewinne für die Folgen ihres Gewerbetreibens abgeben.

Fazit

Politik hat die Aufgabe, Herausforderungen gestalterisch anzugehen – reine Verwaltung von Elend gehört nicht dazu. Das trifft im besonderen Maße auf die hiesige Flüchtlingspolitik zu. Allzu oft werden Flüchtlinge als Prügelknaben für gescheiterte Politik verantwortlich gemacht. Hetztiraden, wie die des bayerischen Ministerpräsidenten gegenüber Flüchtlingen und Migranten, braucht niemand. Davon profitieren einzig die Rechtspopulisten: in den Kommunen ebenso wie in Bayern, Deutschland und Europa.

Die Piratenpartei Bayern forderte in ihrem Landtagswahlprogramm eine aktive Flüchtlingspolitik, welche Herausforderungen löst und nicht ignoriert. Dies gilt heute mehr denn je.

Symbolbild: Wikipedia, Ongayocc-by-sa


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