Der Kampf ist längst verloren

Matt Biddulph Lizenz CC-BY-2.0

Ein Gastbeitrag von @BerndKasperidus.

Eine steile Überschrift, doch sie entspricht den Tatsachen, denn in Hinsicht auf Privatsphäre und Grundrechte haben wir Bürger und Netzaktivisten längst den Krieg verloren – unmerklich, schleichend – und wir müssen uns aufmachen, das verlorene Terrain zurück zu erobern.

Viele bezeichnen den 11. September 2001 als den einschneidenden Termin, an dem der Kampf um die Privatsphäre eines jeden einzelnen Bürgers begann. Dies ist jedoch sehr kurz gedacht; tatsächlich begann der Kampf schon viel früher.

Ein Meilenstein dieses Kampfes war zum Beispiel die Volkszählung 1983 in Deutschland. Ein Datum, das viele der sogenannten Netzaktivisten gar nicht mehr kennen. Diese Totalerhebung aller Daten der deutschen Bürger führte zu einer Protestwelle, die bisher so noch nicht in Deutschland zu sehen gewesen war. Selbst das konservative Bildungsbürgertum, welches im allgemeinen Verständnis der politischen Zugehörigkeiten sehr mit rechter Sheriffpolitik verknüpft wird, lief Sturm.

Letztendlich befasste sich das Bundesverfassungsgericht mit der Volkszählung und fällte am 15. Dezember 1983 eine Grundsatzentscheidung, die auch heute vielen Aktivisten und Politikern in ihrer Tragweite nicht vollständig bewusst ist. Ja, selbst das Bundesverfassungsgericht ließ später erkennen, dass es sich nicht wirklich bewusst war, was es hier eigentlich geschaffen hatte.

Herleitend aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und der Menschenwürde schlussfolgerte das Bundesverfassungsgericht auf ein Grundrecht auf „informationelle Selbstbestimmung“. Noch heute wird dieser Meilenstein des Datenschutzes unwissentlich oder aber auch absichtlich nicht in seiner vollen Tragweite angewandt.

Das Bundesverfassungsgericht schrieb in sein richtungweisendes Urteil eine zentrale Passage, die heute zutreffender ist als jemals zuvor:

„Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß. Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen , nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. […] Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungsfähigkeit und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist. Hieraus folgt: Freie Entfaltung der Persönlichkeit setzt unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung den Schatz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus. Dieser Schutz ist daher von dem Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG umfasst. Das Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.“

Erwähnenswert ist hierbei, dass schon 1983 das Bundesverfassungsgericht an anderer Stelle feststellte, es gäbe „kein belangloses Datum“.

Was heißt das? Nun, eine Anwendung ist mittlerweile tief in unser Verständnis von Datenschutz und Privatsphäre eingegangen. Niemand darf ohne unser Wissen, Daten erheben oder speichern. Eine weitere Implikation des Urteils, das leider weniger bekannt ist, folgert:

“Selbst wenn Daten von Bürgern öffentlich zugänglich sind, dürfen diese nicht ohne deren Wissen und deren Zustimmung zweckentfremdet und anderweitig verwendet werden.”

Was sich ursprünglich auf die Volkszählung bezog, die neben der Befragung der Bürger auch Daten aus Einwohnermeldeämtern und Finanzämtern, aber auch Banken und Versicherungen mit einbeziehen wollte, hat in Zeiten von Facebook und Twitter eine vollkommen neue Bedeutung bekommen.

Ja, wir breiten unser Leben auf Facebook, Twitter und anderen sozialen Netzwerken für die Öffentlichkeit ersichtlich aus, und ja, wir stimmen AGBs zu, welche Datennutzung zu Werbezwecken ermöglichen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass jeder diese Daten benutzen darf.

Geradezu einer Ohrfeige kommt hier die Aussage des früheren Innenministers Schäuble gleich:

„Wenn Sie in der Öffentlichkeit sind, müssen Sie damit rechnen, dass Sie beobachtet werden.“

Dies zeigt ein eklatantes Nichtwissen über die grundgesetzliche Realität in der Bundesrepublik Deutschland oder, schlimmer noch, ein bewusstes Ignorieren bürgerlicher Grundrechten.

Gerade jetzt, da Pläne des Bundesnachrichtendienstes bekannt werden, soziale Netzwerke in Echtzeit überwachen zu wollen, wird wieder klar, dass einerseits bewusst gegen Grundgesetze verstoßen wird und der Kampf um die Privatsphäre längst verloren ist: Die Privatsphäre und der grundgesetzliche Schutz sind uns still und heimlich entzogen worden.

Wir müssen uns daher aufmachen, uns diese wieder zurück zu erobern, statt sie weiterhin zu “verteidigen”. Außerdem wird eines immer klarer: Die größten Feinde unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung sind nicht irgendwelche Terrororganisationen, sondern unser eigener Staat und seine Politiker.

Es wird Zeit, das zu ändern.

Quellen:
BVerfG, Urteil v. 15.12.1983, Az. 1 BvR 209, 269, 362, 420, 440, 484/83
Interview mit welt.de vom 4.2.2007


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